Zu Leben ist gar nicht so schwer

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
r.e.r. Avatar

Von

Es ist Februar und die Sonne lädt die beiden Freunde Uli und Hannes zu einer ersten Motorradspritztour ein. Eine langgezogene Linkskurve. Uli fährt voraus. Freut sich, das der Freund nicht nachkommt. Dreht dann doch um und findet Hannes auf dem Asphalt. Blutend, kaum ansprechbar, in die Ohnmacht gleitend. Sechs Wochen später beginnt Uli seinem Freund zu schreiben. Eine Art Tagebuch für die Zeit in der Hannes aus dem Koma wieder aufgewacht ist: „Vielleicht sollte ich einfach alles aufschreiben, was so passiert. Damit du auf dem laufenden bist, wenn du wieder funktionierst, mein Freund“.

 

Rita Falk ist bekannt, für unterhaltsame Krimikost der leichten Art. Mit ihrem liebenswerten Ermittler Franz Eberhofer und dessen resoluter Oma hat Sie sich in die Herzen eines großen Publikums geschrieben. "Hannes" ist weder ein Krimi noch ist es leichte Kost. Doch unverkennbar ist hier Rita Falk am Werk, die mit leichter Hand das Schwere verständlich macht. Wie oft liest oder hört man von einem Schicksalsschlag und versucht sich für kurze Zeit vorzustellen, wie es den Betroffenen einer solchen Tragödie geht. Wie es sein könnte, wenn der beste Freund plötzlich mehr Tod als lebendig im Koma liegt, hat die Autorin hier beschrieben. In ihrer typisch einfachen Sprache und doch so eindringlich, das jedes Wort sitzt und dorthin trifft, wo es hingehört: Durchs Herz ans Hirn.

 

Ulli und Hannes waren von Kindesbeinen an unzertrennlich. Gerade deshalb ist es für Uli so schwer die Situation zu verarbeiten: „Es sind meine Gedanken, die ich dir bis jetzt und mein ganzes Leben lang erzählt hab, mein Freund, und das fehlt mir am meisten. Unser alltägliches Gelaber. Über nix. Über Gott und die Welt. Du warst mein Tagebuch und ich das deine.„ Die Briefe sind es die Uli am Leben halten, die ihn davon abhalten verrückt zu werden. Verrückt vor Wut, Schuldgefühl und auch aus Enttäuschung. Enttäuschung darüber, das der Freund nicht aufwacht, keine Fortschritte macht.

 

Die Briefe sind es auch, die in ihrem „alltäglichen Gelaber“ das Schicksal verständlich machen. Uli beschreibt jeden Tag wie er kommt. Seinen Zivildienst in einem psychologischen Pflegeheim, dass er liebevoll „Vogelnest“ getauft hat, weil schließlich alle Bewohner irgendeinen Vogel haben. Seine direkte Vorgesetzte, die Klosterschwester Walrika, die ebenso weise wie unvorhersehbar reagiert. In den schlimmsten Situationen ist sie es, die mit einer lebensrettenden Zigarette oder dem Flachmann aus der Kutte die richtigen Worte findet. Seine bevorzugte Patientin, die alte Frau Stemmerle, die durch einen tragischen Unfall ihre Enkelin verloren hat und sich dafür die Schuld gibt. Uli zaubert dieser vom Leben geprüften Frau wieder ein Lächeln auf die Lippen. Wie er das hinbekommt ist wunderbar zu lesen. So naheliegend und menschlich. Nur die Psychologin Iris Redlich reagiert vergrätzt, weil ihr der Zivi ins Handwerk pfuscht. Was auch wieder menschlich ist.

 

Es „menschelt“ überhaupt in diesem Buch. Die Handlung die Falk entwickelt ist ebenso anrührend wie aufwühlend. Sie spart nichts aus. Die Eltern des Verunglückten, die die Hoffnungslosigkeit nicht aushalten. Der Vater verlässt die Familie. Die anderen Freunde der Clique, die aus Hilflosigkeit wegbleiben. Ärzte die ratlos sind oder gefühllos. Die Freundin Nele, die ihre Schwangerschaft nicht zuordnen kann. Entweder war es Hannes kurz vor dem Unfall oder Kalle kurz danach, als ihre Seele Trost brauchte. Was klischeehaft klingt, liest sich sehr persönlich. Falk findet die Quintessenz zum Leid jeder einzelnen Figur.

 

Das Buch ist aber keineswegs nur traurig. Die Erlebnisse bieten oft genug Anlass laut herauszulachen. Mir ging das, unter anderem, bei der Szene mit Uli und Frau Redlich, einem Auto mit von innen beschlagenen Fensterscheiben und dem „Bauer vom Lehmbichlhof“ so. "Hannes" ist ein Buch vom Leben und Sterben. Es handelt von Freundschaft, Liebe, Schuld und Vergeben. Es geht um Vergessen, Festhalten und Loslassen. Es ist traurig und hinterlässt einen doch glücklich. Es ermuntert nicht zum Mitleiden, sondern vermittelt den Mut den es zum Leben braucht und die Freude die daraus entsteht.