Neujahrsdrama

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"Happy New Year" ist schon ein besonderer Fall. Natürlich ist es in erster Linie ein Thriller, und wie bei den Erzeugnissen aus dem skandinavischen Raum inzwischen schon fast üblich, schlummert das Böse natürlich auch hier unter einem fast undurchschaubaren Beziehungsgeflecht, dessen Dynamik sich aus Vergangenheit und Gegenwart nährt und nach und nach selbst die ältesten Geheimnisse ans Licht bringt. In Malin Stehns detailverliebtem Krimi stehen zwei Familien und deren engste Freunde im Mittelpunkt, die sich seit Jahren allesamt auseinandergelebt haben und nur zum Mittsommerfest und zur Silvesterfeier noch einmal zusammenkommen - das lässt jede Menge Spielraum für selbstverliebte Erfolgsmenschen, frustrierte Mittelständler und den ganz normalen Wahnsinn der schwedischen bürgerlichen Gesellschaft. Und natürlich geht an diesem Silvesterabend alles schief: Ein Teenager verschwindet und wird später tot aufgefunden. Einer aus dem Kreis muss der Täter sein. Nur wer? Die Paranoia nimmt ihren Lauf.

"Happy New Year" ist ein geschickt konstruierter Thriller, der sich hauptsächlich auf die Psyche seiner Protagonisten konzentriert und dabei tief in alten Wunden stochert. Das mag nicht jedem so gefallen (die Polizei und deren Ermittlungsarbeit bleiben weitestgehend außen vor), aber so gelingt Malin Stehn ein sehr genau recherchiertes Drama um Menschen in der Midlife-Crisis, die irgendwann einmal bilanzieren müssen, dass ihre Träume von einst schon längst einer Alltagsroutine gewichen sind, der sie nie verfallen wollten. Ein schmerzhaftes Drama, dem der Kriminalfall letztlich nur das Sahnehäubchen aufsetzt, und ein detailliertes Psychogramm bürgerlicher Existenzen in der Mitte Europas. Stilistisch vergleichsweise einfach und fast schon trocken, aber das passt zu der spröden Atmosphäre des Buches - die drei Hauptperspektiven sind zu Beginn im Sprung ihrer Blickwinkel durchaus gewöhnungsbedürftig, erweisen sich aber schon bald als essentielle Pfeiler einer Geschichte, die mit ihren zahlreichen Wendungen gegen Ende immer spannender wird.

Nicht der atemlose Thriller-Pageturner, den viele vielleicht erwartet haben (und durchaus mit einigen Längen behaftet, die einfach nur ihren Standpunkt nach Hause bringen wollen), aber ein durch und durch solider und mitreißender Einstand in die Welt literarischer Spannung. Sollte man lesen, sofern man sich auch nur entfernt für nordischen Psycho-Terror interessiert!