Colson Whitehead: Wie immer ein Garant für hochkarätige Literatur.

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
gaia Avatar

Von

„Ich bin vielleicht manchmal pleite, aber ein krummer Hund bin ich nicht“, beschreibt sich der Protagonist des neusten Whitehead-Romans selbst. Ray Carney ist ein einfacher, schwarzer Möbelhändler im Harlem der 1960er Jahre. Er hat sich sein Möbelgeschäft mit viel Anstrengung aufgebaut und kann stolz durchaus darauf sein. Zu Beginn ist er auch noch stolz darauf, dass er dies größtenteils ohne Gaunereien geschafft hat. Er ist nämlich der Sohn eines mittlerweile verstorbenen, stadtteilweit bekannten Ganoven, früh Halbwaise nach dem Tod der Mutter geworden und zeitweise stark verwahrloster Junge gewesen. Nun taucht sein Cousin, welcher für Ray wie ein Bruder ist, mit jeder Menge Ärger im Gepäck auf und zieht Ray immer tiefer in das Zwielicht Harlems.

Der neue Roman von Colson Whitehead ist ganz anders als die vorherigen und trotzdem bleiben die wichtigsten Themen des Autors omnipräsent: Rassismus und das Leben als Schwarze Person in einer Weißen Gesellschaft. Was ist ganz anders? Es handelt sich hier größtenteils um eine Gangstergeschichte, die grandios aufgezogen ist und mit einem Heist beginnt, über eine lang geplante Rache hin zu Schwierigkeiten mit Personen ganz anderen Kalibers entwickelt. Flott und mitreißend erzählt Whitehead in 1959 einsetzend die Geschichte um die Verwicklungen von Ray in immer zwielichtigere Geschäfte. Grandios scheint immer wieder der Möbelunternehmer mit Herz und Seele, der er eigentlich bleiben wollte, in den Beobachtungen und Schilderungen Rays durch. Bezüglich des Plots und des Stils taucht man mit Ray tief in die 60er Jahre ein, inklusive der damals im Rahmen der Bürgerrechtsbewegung erwachenden Rassenunruhen ein. Treffsicher baut Whitehead immer wieder Brücken zu den aktuellen Geschehnissen in den USA mit Polizeigewalt gegen Schwarze, der Erschießung George Floyds (neben unzähligen anderen) und den darauffolgenden Protesten und zeigt damit, wie sich leider noch nicht genug getan hat bezogen auf diese Themen in den vergangenen 60 Jahren. Auch den Wandel der Mega-City New York zeichnet er dezent nach. Und trotzdem bleibt der Autor ganz nah dran, an den Menschen, den Beziehungen, vor allem der zwischen Ray und seinem chaotischen Cousin Freddie, die eigentlich wie Brüder sind und zwischen denen eine tiefe Verbindung existiert.

Neben den vielen literarisch hochwertigen Kunstgriffen des Autors gefallen mir besonders die eingebauten Querverweise auf literarische Werke unterschiedlicher Epochen und Qualitäten, die in gewisser Weise immer wieder die Handlung des Plots von „Harlem Shuffle“ vorhersagen. Großartig, wenn man dann noch nebenbei - selbst in brenzligen Situationen - in die Vorteile gewisser Möbelserien eingeweiht wird, denn der Möbelverkäufer hat nun mal ein Auge dafür. Es macht einfach Spaß, dieses Buch zu lesen und sich auf die Brillianz von Colson Whiteheads Sprache einzulassen. Seine Wortwahl ist immer pointiert und aufs Kleinste durchdacht. Kein Wort ist hier nur zufällig im Text gelandet. An dieser Stelle ist auch die exzellente Übersetzungsleistung von Nikolaus Stingl hervorzuheben.

Wir begleiten einen Schwarzen in der Zeit der Bürgerrechtsbewegung dabei, wie er - eigentlich ganz unpolitisch – versucht, sein Leben langsam immer weiter zu verbessern, gespiegelt durch verschiedenste Metaphern im Roman. So wird das Private zunehmend zum Politischen. „Der Fehler war, zu glauben, er wäre jemand anders geworden. Zu glauben, dass die Umstände, die ihn geformt hatten, anders gewesen waren oder dass diesen Umständen zu entkommen ebenso leicht war, wie in ein besseres Gebäude umzuziehen oder richtig sprechen zu lernen.“

Der vorliegende Roman konnte mich einmal mehr von der literarischen Klasse Colson Whiteheads überzeugen und ich drücke ihm die Daumen, dass er mit „Harlem Shuffle“ den Triple-Erfolg schafft und mit drei Romanen in Folge den Pulitzer-Preis erhält. Verdient hätte er es.