Meisterhaft erzählt

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mariederkrehm Avatar

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„Harlem Shuffle“ ist ein Großstadtroman, mit dem nicht jeder warmwerden muss, denn das Milieu, in dem er spielt, ist nicht nur geographisch, sondern auch zeitlich ganz weit weg von uns. Wir begleiten Raymond Carney, einen selbständigen Gebrauchtmöbelhändler, der in den sechziger Jahren versucht, in seinem Viertel emporzukommen. Der New Yorker Stadtteil Harlem ist sein ganzer Kosmos. Wie es woanders zugeht, weiß er nur aus zweiter oder dritter Hand, von den Zugezogenen aus den Südstaaten oder von seiner Frau, die beruflich Reisen organisiert - für andere.

Für den Leser bleibt es beim Nachnamen. Carney ist für uns Carney und nicht Ray. Damit wird er zur Hülle und steht für alle anderen, denen es so geht wie ihm. Wie Carney es schafft, seine Familie zu hintergehen, die ihn für einen redlichen Geschäftsmann, Vater und Ehemann hält, so täuscht er auch uns. Mit seiner Menschenfreundlichkeit und seinem Fleiß wickelt er uns ein. Ach, wie sehr fühlen wir mit ihm, wenn er, der es selbst schwerhat, seine Miete zu verdienen, sich fest vornimmt, nichts mehr auf Raten zu verkaufen, und dann doch wieder weich wird, wenn der nächste Kunde ihn darum bittet.

Mißt man ihn jedoch an seinen Taten, dann sieht sie Sache schon anders aus. Carney, der aus schlimmen Verhältnissen kommt und dann über seinem Stand geheiratet hat, kennt Mörder, Erpresser, Schläger, Räuber, Drogenopfer und Prostituierte, und er benutzt sie, um seine Probleme zu lösen. Geschäftsmäßig vermittelt er Diebesgut an Hehler, zahlt Schutz- und Schmiergelder, und wenn er es nicht vermeiden kann, läßt er auch schonmal eine Leiche verschwinden. Trotzdem schafft er es, daß wir ihm das nicht krumm nehmen, denn meist sind es die Umstände, die ihn zum Handeln zwingen. Oder sein nichtsnutziger Cousin Freddie, den er immer wieder aus einem selbstverschuldeten Schlamassel retten muss.

Die Kunst Whiteheads besteht darin, daß Carney in seiner Zerrissenheit zwischen Anstand und Verbrechen dem Leser etwas bedeutet und damit für die Stadt steht, in der er lebt. Ein meisterhaft erzähltes Buch, das an keiner Stelle langweilig wird.