Tanz auf dem Vulkan in Harlem

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emma winter Avatar

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Colson Whitehead hat bereits für zwei seiner Romane den Pulitzerpreis erhalten (The Underground Railroad 2017, The Nickel Boys 2020), Harlem Shuffle ist mein erster Roman von ihm.

Raymond Carney ist in Harlem zuhause, einem Viertel in Manhattan, nördlich vom Central Park gelegen und Zentrum der afroamerikanischen Kultur. Ray hat einen hübschen Möbelladen und versucht sich und seine kleine Familie über Wasser zu halten - auf ehrliche Art. Allerdings gelingt das nur bedingt, denn nicht nur war sein Vater ein allgemein bekannter Krimineller, sondern auch sein leichtlebiger Cousin Freddie hat es eher mit den Gangstern. So jongliert Ray einerseits mit schicken Couchgarnituren und Nierentischchen und andererseits mit kleinen Dingen unbekannter Herkunft. Sein Tanz auf dem Vulkan wird immer schwieriger, denn die Rassenunruhen der 1960er Jahre gefährden seine Existenz ebenso wie seine Sorge um Freddie.

Wow, was für ein toller Roman. Whitehead läßt Harlem Stück für Stück, Straße für Straße lebendig werden. Gemeinsam mit Ray geht man die Wege entlang und immer mehr und neue Ecken des Viertels werden für die Leser lebendig und farbig. Die vielen kleinen Szenen machen einfach Spaß beim Lesen. Da steckt ganz viel spannende Stadt- und Kulturgeschichte in den Zeilen.

Ray ist ein sympathischer Protagonist, der versucht, sich ein kleines privates Glück zu schaffen und zu erhalten. Alles Unheil, das auf ihn einbricht, scheint er mit angeborener Gelassenheit und Zuversicht auf sich zu nehmen, in dem Vertrauen, dass es schon gut werden wird. So hat er nicht nur Leichen zu entsorgen, sondern auch die eigenen Schwiegereltern gegen sich, die auf ihn herabsehen, da er nicht so hellhäutig ist wie sie. Bemerkenswert ist der Job von Rays Frau Elizabeth, die in einem Reisebüro arbeitet, das Afroamerikanern sichere Reiserouten, Hotels und Restaurants bucht - in den USA!

Bei allem Ernst, den die Themen Rassentrennung, -unruhen, Polizeigewalt und Drogen vermitteln, empfinde ich den Schreibstil als sehr humorvoll. Die Einwürfe und Gedanken von Ray - an den unpassendstes Stellen - zu neuen Möbeln oder für einen Werbespruch sind echt witzig. Zahlreiche skurrile Gauner, alle mit einer eigenen Geschichte, bevölkern die Handlung. Da muss man manchmal schon aufpassen, dass man nicht die Übersicht verliert in dieser Geschichte, die sich über fünf Jahre erstreckt. Auch springt der Autor häufig in der Zeit zurück, um bestimmte Figuren, Beziehungen oder Szenen mit Hintergrundwissen zu unterfüttern

Der Roman hat mir sehr gut gefallen. Ein paar Seiten brauchte ich, bis ich mich in der Geschichte und in Harlem zurechtgefunden hatte, aber dann las sich die Geschichte wie von allein. Wie liebevoll und detailgenau hier Armseligkeit und kleines Glück beschrieben werden, ist wirklich groß. Ein Kaleidoskop voller Eindrücke, hervorragend in drei große Abschnitte mit passenden Überschriften eingeteilt. Vordergründig eine Story, die mich an "Der Clou" erinnert hat, mit einem überaus ernsten Hintergrund, von dem ich hier nur Teile nennen konnte. Für mich ein fünf-Sterne-Buch.