Lesenswerte Einblicke nicht nur in ein Pianistenleben

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carolaww Avatar

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Ich habe es sehr begrüßt, dass ein Pianist Igor Levit und ein Journalist Florian Zinnecker ein Buch zusammen schreiben, weil man mehr über die Welt von Kulturschaffenden aus persönlicher Sicht erfahren kann.
Diesen Anspruch erfüllt das Buch auch. Was genau wollten die Autoren, welchen Anspruch auf Tiefgang hatten beide? So viel ist klar: Der eine (Jounalist) wollte die Persönlichkeit des anderen (Pianist) lebendig darstellen.
Es bleibt ein Einblick im wahrsten Sinne des Wortes. Denn alle Seiten der Person wollte der eine nicht aufzählen, es ging ihm sicher nur um zwei Facetten.
Erstens: Man erfährt das Wichtigste über Igor Levits Werdegang, seine Art zu lernen, weiter zu streben. Der Beruf des Pianisten ist sehr von der Beurteilung durch die Journalisten abhängig. Man erkennt die Macht und Ohnmacht der journalistischen Meinungsäußerung. Florian Zinnecker setzt mit textlich gegliederten Interview-, Artikelausschnitten und Lebenslaufereignissen Akzente und läßt auch optisch Lücken zum Nachdenken. Wir erfahren, wie das Bild des Pianisten Levit in den letzten Jahren durch Kritiker in die Öffentlichkeit gekommen ist. Man kann sich durch Igors Twittern selbst ein Bild machen und das relativieren. Das reicht aber nicht, denn man fragt sich unwillkürlich, ob es auch positive Kritiken oder Gegendarstellungen gegeben hat. Und fängt an zu googeln.
Levit bleibt in Erinnerung als ein zweifelnder, sehr oft mit sich und der Umwelt hadernder Mensch, der letztendlich froh ist, wichtige Menschen auf seiner Seite und in seiner Nähe zu haben, die seine Persönlichkeit formen, auch heute noch. Diese werden auch einbezogen, jedoch bleibt unbeantwortet, welche Charaktereigenschaften Igor Levit noch hat.
Zweitens: Der Journalist geht natürlich mit Igor auch auf seine politische Seite ein, versucht Zusammenhänge aufzuzeigen, geht in Levits Leben zurück und schaut sich Igors Entwicklung unter dem Aspekt an. Vieles reduziert sich auf die Herkunft als Jude. Es wäre schön gewesen, auch von den Eltern und anderen Freunden mehr zu lesen. So bleibt immer der Eindruck, dass er sich doppelt anstrengen muss, sich dreifach rechtfertigen und behaupten soll.
Seine Adaption der Klavierwerke ist auch nicht alltäglich. Wie schwer man es dadurch in der Öffentlichkeit hat, arbeitet Florian Zinnecker gut heraus.
Interessant ist die Darstellung des Streams der Vexations by Erik Satie. Da Musik im Buch ja nicht zum Klingen kommen kann, so erlaubt die Beschreibung ein annäherndes Nachempfinden.
Ich hätte mir nur gewünscht, Florian Zinnecker wäre nicht so oft in der Zeit hin und her gegangen. Auch das Durcheinander der Themen - Klavier, Leben, Politik, Weggefährten - war ungünstig in Bezug auf den Lesefluss.
Alles in allem ein interessanter Einblick in das Leben eines ungewöhnlichen Menschen, der viel Raum zum Weiterdiskutieren lässt.