Der Freundschaft auf der Spur

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Er ist mächtig erfolgreich – Francois Lelord hat mit seinen Hector-Romanen rund um die Geheimnisse des Lebens internationale Erfolge gefeiert. Ich habe sein Geheimnis des Glücks gelesen – und war eher sehr mäßig begeistert. Doch dann kam eine neuer Lelord rund um das Geheimnis der Freundschaft. Eine erste Leseprobe bei vorablesen.de hat mich neugierig gemacht. Und so habe ich „Hector und das Geheimnis der Freundschaft“ dann doch gelesen.

 

 

Inhaltsverzeichnis:

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1. Der Autor: Francois Lelord

2. Ort und Zeit der Handlung

3. Die Figuren

\*\*\*a) Hector

\*\*\*b) Clara

\*\*\*c) Brice

4. Die Geschichte

5. Die Freundschaft

6. Erzählweise

7. Vergleich mit dem Glück

8. Zielgruppe

9. Daten zum Buch

10. Pro & Contra

11. Fazit

 

 

1. Der Autor: Francois Lelord

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Lelord ist Schriftsteller – und er ist Psychater. Das fließt ein wenig auch in seine Romane ein. Der Franzose wurde 1953 Paris geboren, hat Medizin und Psychologie studiert und als Arzt gearbeitet. Seit 2004 berät er auch Unternehmen zu den Themenbereichen Arbeitszufriedenheit und Stress.  Außerdem veröffentlichte er psychologische Fachbücher. Glück, Liebe, Zeit und Leben waren die Themen seiner bisherigen Hector-Romane, von denen in Deutschland allein 1,5 Millionen erschienen sind und die in 14 Ländern veröffentlicht wurden.

 

2. Ort und Zeit der Handlung

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Hier ist Lelord – anders als viele andere Autoren – nicht so schrecklich eindeutig. Die Zeit ist wohl in etwa die Gegenwart (in der der Roman erschienen ist), also ungefähr 2009/2010. Aber auch das ist eher vage. Ein Ort ist Hectors Wohnort Paris. Die Geschichte führt ihn aber auch nach Asien. Auch hier arbeitet Lelord nur mit Andeutungen, verrät dem Leser nicht klar, in welchem Land die Geschichte spielt. Mal wirkt es japanisch, mal „Land des Lächelns“ eher nach China.

 

3. Die Figuren

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\*\*\*a) Hector

Klar, der Psychologe ist DER zentrale Charakter der Geschichte. Als Leser bleibt man an Hectors Seite, erfährt seine Gedanken und Gefühle.

Ich persönlich bin dabei immer hin- und her gerissen: Teilweise finde ich Hector einfach nur sympathisch und klug, vor allem dann, wenn er recht treffend erspürt, welche Probleme seine Patienten mit Freundschaft haben und was Freundschaft ausmacht. Andererseits nervt er auch manchmal. Weil er mitunter altklug wirkt und zu gut, um wahr zu sein.

Allerdings ist dieses negative Gefühl etwas geringer als ich es bei Hectors „Glücksbuch“ empfunden habe.

 

\*\*\*b) Clara

Hectors Frau nimmt keinen sehr großen Platz im Roman ein. Trotzdem ist sie wichtig, da sie indirekt auch was über den Charakter von Hector aussagt.

Clara ist schön, Clara ist klug. Clara versucht, die Probleme von Hector mitzudenken, die Themen, die ihn beschäftigen, mit zu verfolgen. Sie tauscht mit ihm Gedanken dazu aus – und beweist auch damit, dass sie klug und warmherzig ist. Andererseits spricht gegen sie, dass sie ihr eigenes Wissen, ihr gutes Gespür für Menschen selbst unterschätzt, sich selbst unter Wert verkauft.

 

\*\*\*c) Brice

Die Figur des Freundes „Brice“ sagt ebenfalls etwas über Hector aus – und darüber, wie er mit Freundschaft umgeht. Gleichzeitig kann man sich als Leser mit Blick auf Brice Entwicklung fragen: Wie würde ich mich in Hectors Situation Brice gegeüber verhalten.

Brice war ein umschwärmter großer Psychater, der viele Stars als Patienten hatte und sich in ihrem Ruhm sonnte – und er besaß die Hälfte einer KLinik. Er war aber auch jemand, der schwierige Patienten schnell an Kollegen abgab, etwas, das nicht grade für ihn spricht. Man könnte daher meinen, dass er sich einfach keine Mühe mit den Patienten geben will oder dass auch er zu wenig Selbstbewusstsein hat, zu wenig Vertrauen, dass er auch den schwierigen Fällen helfen kann. Aber so, wie Lelord Brice schildert, scheint bei ihm die Bequemlichkeit der Grund gewesen zu sein.

Doch dann geriet Brice in schlechtes Licht, man warf ihm „Vergewaltigung unter Ausnutzung einer Autoritätsposition“ vor. Er verlor vieles.

Inzwischen führt Brice ein Leben, das Hector so nicht mehr so ganz nachvollziehen und billigen kann. Schon in der Bar, in der sich die beiden Freunde treffen, fühlt sich Hector unwohl – erst recht, als er erfährt, dass Brice schon mit vielen dieser sehr jungen Mädchen etwas hatte. Kann Freundschaft so einen Wandel aushalten?

 

 

4. Die Geschichte:

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Hector erkennt: Bei verschiedenen seiner Patienten gibt es ein Problem mit der Freundschaft: Menschen wie eine berühmte Sängerin fühlen sich einsam, andere ziehen sich zurück, haben Probleme, mit den Mitmenschen in freundschaftlichen Kontakt zu treten.

Und dann stellt sich plötzlich die Frage, wie Hector persönlich zum Thema „Freundschaft“ steht. Ein Freund von ihm wird vom Geheimdienst gesucht. Er soll viel Geld hinterzogen haben. Soll Hector zu ihm stehen? Oder wäre es einfacher, wenn er den Ermittlern nachgibt? Hector macht sich auf die Suche nach Edouard, trifft alte Freunde wie Brice, den ehemaligen Star-Psychater, der nun ziemlich herunter gekommen ist und inzwischen ein Leben führt, das Hector ein wenig befremdet. Brice verbringt seine Abende in Bars und Clubs und die Nächte mit den Tänzerinnen, mit denen er gegen Geld auf sein Zimmer geht. Doch Brice ist ein Freund, ebenso wie Valerie.

Gemeinsam fahren sie nach Norden, zur Lady, der Star-Patientin von Hector. In der selben Region soll sich auch Edouard aufhalten. Vielleicht schaffen es die drei ja, ihn in dem schwer zugänglichen Gebiet eines seltenen Stammes zu finden und zu erfahren, was es mit den Millionen und mit Edouards Verschwinden auf sich hat. Gemeinsam mit den Freunden macht er sich auf den Weg in die Wildnis – und begibt sich in Gefahr.

Nach und nach schreibt Hector die Punkte auf, die Freundschaft ausmachen.

 

 

5. Die Freundschaft

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Normalerweise – bei anderen Büchern- gehe ich an dieser Stelle auf die Themen der Geschichte ein. Bei „Hector und das Wunder der Freundschaft“ ist es eigentlich nur ein Thema, das im Mittelpunkt steht – ganz klar, die Freundschaft. Ich wähl hier mal noch einen anderen Weg als sonst. Hector notiert sich im Laufe der Geschichte einzelne Punkte über die Freundschaft. Anhand dieser Punkte versuche ich die Geschichte noch einmal zu spiegeln und meine Gedanken dazu zu schreiben.

 

-       Beobachtung 1: Deine Freundschaften sind Deine Gesundheit

Hectors Patientin, die Lady, ist deprimiert, fühlt sich krank, da sie nicht weiß, ob die Menschen sie nur lieben, weil sie ein Star ist oder weil sie sie als Mensch mögen. Und auch die andere Patientin, die Wissenschaftlerin, fühlt sich unter anderem schlecht, weil sie kaum Menschen hat, die sie mögen.

Tatsächlich hat jeder von uns schon die Erfahrung gemacht: Auch wenn es einem schlecht geht, können Freunde einem gut tun: Die Tatsache, dass sie da sind, lässt einen bei Krankheit oder wenn man einfach nur einen schlechten Tag hatte, gleich besser fühlen. Sie bauen einen auf, indem sie einem zuhören, indem sie Ratschläge geben, indem sie zeigen, dass man trotzdem gemocht wird, auch wenn man grade gesundheitlich oder psychisch nicht so auf dem Damm ist.

 

-       Beobachtung 2: Ein wahrer Freund ist bereit, Opfer für dich zu bringen oder sich deinetwegen sogar in Gefahr zu begeben.

Für Hector wird dieses Thema durch Edouard brennend aktuell: Eigentlich würde Hector gerne bei seiner Familie bleiben. Doch dieses wohlige Bequemlichkeit gibt er auf, weil er weiß, dass Edouard in Schwierigkeiten steckt.

Freundschaft heißt auch, dass man für Freunde da ist, wenn sie einen brauchen, auch wenn es für einen selber grade unangenehm ist oder wenn man Grenzen überschreiten muss. Freunden zu helfen, ist wichtiger, als die eigene Sicherheit. Auch hier gilt: Mitunter hat man selber schon ähnliche Erfahrungen gemacht. Und mitunter hat man selber an diesem Punkt – ob andere bereit sind, Opfer für einen zu bringen oder ob man selber bereit ist, Opfer für andere zu bringen – gemerkt – wie ernst und tief eine Freundschaft wirklich ist.

 

-       Beobachtung 3: Ein Freund ist jemand, den du gerne siehst.

Bei diesem Punkt kommt auch Hectors Frau Clara ins Spiel und ein Brief, den sie ihm schreibt: Es gibt „Freunde“, mit denen man ausgeht, weil man meint, dass man ihnen damit einen Gefallen tut. In Claras Fall ist das zum Beispiel mit einem Arbeitskollegen der Fall. Sie selber freut sich nicht so sehr auf die Treffen mit ihm, er sieht aber in ihr eine Freundin und sieht sie gerne. Andererseits hat Clara auch eine Freundin, die sie gerne sieht und mit der sie sich gerne trifft, beide Frauen haben miteinander an gemeinsamen Einkaufsnachmittagen großen Spaß. Aber Clara weiß: Es ist keine Freundin, die wirklich in der Not große Opfer für sie erbringen würde.

Ich hab mich in diesem Punkt sehr wieder entdeckt: Auch ich hab ein paar Leute, die mich wohl als Freundin empfinden, mit denen ich mich zwar nicht schrecklich unwohl fühle, aber bei denen ich auch nicht besonders innerlich jubel, wenn sie sich mit mir verabreden wollen. Und es gibt andere, mit denen ich sehr gerne zusammen bin, mit denen die Zeit vergeht, weil ich sie gerne sehe und weil ich mich mit ihnen richtig wohl und zuhause fühle.

 

-       Beobachtung 4: Ein Freund ist jemand, bei dem dir wichtig ist, was er von dir hält.

Hector hat zwei alte Freunde, die sich schon seit Kindertagen kennen, Edouard, den Freund, der in Schwierigkeiten steckt und Jean-Michel, einen engagierten Arzt. Edouard war immer derjenige, den man für seine Zielstrebigkeit und seinen Erfolg bewundern konnte, Jean-Michel war der Gutmensch, den man wegen seines Engagements für andere schätzte. Beide sind total gegensätzlich, haben ganz unterschiedliche Werte. Eigentlich könnte man meinen, dass die beiden zu ihrer unterschiedlichen Art stehen. Doch obwohl sich jeder auf seine Art bewiesen hat und deshalb selbstbewusst sein können, ist es beiden wichtig, was der andere von ihnen hält. So will Edouard, dass Jean-Michel ihn nicht für einen selbstsüchtigen Egoisten hält – und spendet für Jean-Michels Hilfsprojekt.

Tatsächlich ist es ganz zentral, dass es einem viel bedeutet, dass Freunde einen schätzen. Die meisten, werden beginnen, an sich zu zweifeln, wenn Freunde gewisse Lebensweisen nicht akzeptieren.

 

- Beobachtung 5: Ein Freund ist jemand, dessen Lebensweise du akzeptieren kannst.

Hier knüpft Hectors Geschichte wieder an das Verhältnis seiner Freunde Edouard und Jean-Michel an: Obwohl die beiden so unterschiedliche Lebensweisen haben, der eine der Millionen scheffelnde Geschäftsmann ist und der andere der Gutmensch, der den Armen hilft, akzeptieren sie die Lebensweise des jeweils andere. Jean Michel weiß, dass Edouard das komplette Gegenteil von ihm ist. Trotzdem mag er seinen Freund als Mensch.

Auch zu diesem Punkt hat jeder von uns sicher schon seine eigenen Erfahrungen gemacht. Es gibt Menschen, die sich von einem weg entwickeln, die ein ganz anderes Leben führen, die man aber trotzdem mag und bewundert. Und es gibt Menschen, die man genau deswegen, weil sie eine so andere Lebensweise führen, nicht akzeptiert und zu denen genau deshalb der Kontakt abbricht.

 

- Beobachtung 6: Alte Freunde sind so rar wie Baumriesen

Hector hat tatsächlich sogar mehrere alte Freunde, mit denen er noch in Kontakt ist – Freunde wie Edouard, Jean-Michel oder aber auch Brice. Trotzdem ist ihm klar, dass grade alte Freunde, mit denen man eine gemeinsame Vergangenheit hat und mit denen man gemeinsam einen langen Weg gegangen ist, wichtig sind.

Ich persönlich kann diesen Satz sehr unterschreiben. Es ist selten, dass man mit Menschen, mit denen man gemeinsam in der Schule oder an der Uni war, über Jahrzehnte in Kontakt bleibt. Das gilt besonders, wenn die Freunde räumlich gesehen getrennte Wege gehen. Wenn man in anderen Städten, anderen Ländern, gar auf anderen Kontinenten wohnt, wird es schwierig, in Kontakt zu bleiben. Umso wertvoller sind diese Freundschaften!

 

- Beobachtung 7: Ein Freund ist jemand, der sich Sorgen um dich macht

Hector hat noch einen weiteren Freund, Jean-Marcel. Die beiden sind zwar nicht per Du, die beiden sehen sich eher selten. Trotzdem erkennt Jean-Marcel, dass Hector in Gefahr ist. Er sorgt sich deswegen. Wenn Hector für Jean-Marcel nur irgendein (unwichtiger) Bekannter wäre, wäre es Jean-Marcel vielleicht egal. Doch Jean-Marcel will nicht, dass Hector was Böses passiert –und das macht ihn trotz des eher seltenen Kontakts der beiden Männer, zu einem Freund.

Auch zu diesem Punkt hat wahrscheinlich jeder von uns seine Erfahrungen. Auch mir sind schon Leute aufgefallen, die sich dann, wenn ich Hilfe brauchte, nicht gesorgt haben und mir somit gezeigt haben, dass sie keine Freunde waren. Bei anderen habe ich die Erfahrung gemacht, dass sie sich genau in solchen Situationen überraschenderweise als Freunde erwiesen haben.

 

- Beobachtung 8: Ein Freund ist jemand, dem du dich anvertrauen kannst

Auch hier spielt wieder Jean-Marcel eine Rolle. Obwohl er und Hector nicht sehr intensiv befreundet waren, hat er Vertrauen zu Hector und redet mit ihm über Dinge, die ihm wichtig sind.

Beides, sich Sorgen um den anderen machen und bereit sein, Vertrauen zu schenken und das Vertrauen zu würdigen, sind ganz wichtige Faktoren für Freundschaft. Gerade in der heutigen Zeit, in der viele Menschen taktisch denkenund Vertrauen missbrauchen, weil es ihnen vielleicht auf einem anderen Weg nutzt, wenn sie Geheimnisse, die sie von einem vermeintlichen Freund gehört haben, ausplaudern , ist echtes und berechtigtes Vertauen selten. Und es ist damit ein Zeichen von Freundschaft.

 

- Beobachtung 9: Einen wahren Freund betrübt dein Unglück so wie ihn dein Glück erfreut

Gemeinsam mit Clara tauscht Hector am Abend noch Gedanken zur Freundschaft aus. Wenn man sich jemandem anvertraut, ist man oft in Not, ist unglücklich. Und da machen die beiden klar, dass Glück und Unglück des Freundes einem etwas bedeuten.

Aus dem eigenen Erleben kennt man auch das: Wenn Menschen, die einem wenig bedeuten, unglücklich sind, hat man vielleicht kurz Mitleid, vergisst ihre Situation aber auch relativ schnell wieder. Wenn echte Freunde in Not sind und ihnen Unglück widerfährt, macht man sich Sorgen, ist schlaflos, überlegt, wie man ihnen helfen kann. Genau das, dass man sich ähnlich um den Freund Gedanken macht, wie man es im eigenen Unglück tut, zeigt, dass der Freund einem viel bedeutet.

 

- Beobachtung 10: Wahre Freundschaft setzt man nicht für die Liebe aufs Spiel

Neben den männlichen Freunden wie Edouard, Jean-Michael, Jean-Marcel oder Brice gehört auch Valerie als einzige Frau zu Hectors langjährigen Freunden. Er mag und schätzt sie, fühlt sich wohl mit ihr, findet sie auch attraktiv. Trotzdem würde er diese Freundschaft nicht riskieren wollen – auch nicht, um sie in Liebe umzuwandeln. Denn Valerie war und ist Hector wichtig. Falls er eine Beziehung mit ihr versucht hätte, hätte er Angst gehabt, dass er sie über kurz oder lang als Geliebte UND als Freundin verloren hätte.

Das Thema Freundschaft zwischen Männern und Frauen ist schwierig. Berühmt und berüchtigt ist in der Hinsicht ja auch der Film „Harry und Sally“ und der Satz daraus „Männer und Frauen können keine Freunde sein“, dem die Einschränkung folgt “es sei denn, beide sind in Beziehungen“. Dem würde ich weitgehend folgen. Sicher gibt es Mann-Frau-Freundschaften, die über Jahrzehnte funktionieren, auch in Zeiten, in denen beide mal solo sind. Das hängt aber vielleicht auch damit zusammen, dass die beiden einander wirklich nicht attraktiv und begehrenswert finden. Denn ansonsten ist man doch zu schnell die Gefahr, dass  sich aus dem warmen, wohligen Gefühl, dass man sich mit dem Freund/der Freundin des anderen Geschlechts zuhause fühlt, doch mehr entwickelt als nur Freundschaft.

 

- Beobachtung 11: Ein Freund ist jemand, der dich trotz deiner Schwächen mag

Einige der Beobachtungen, die ich hier schon erwähnt habe, treffen in gewisser Weise auch auf die Freundschaft zwischen Hector und Brice zu. Die Nummer 5 z.B.: Hector gefälllt die Lebensweise von Brice nicht. Er fühlt sich nicht wohl in den Bars, in denen blutjunge Mädchen tanzen und sich prostituieren. Er kann sich nicht vorstellen, dass er mit diesem jungen Mädchen ins Bett steigt. Genau das tut Brice aber. An dem Punkt tritt dann auch die Beobachtung 11 in Kraft: Hector mag Brice trotz seiner Schwächen.

Auch im Alltag ist es so: Jeder kennt auch Fehler seiner echten Freunde. Doch die Freundschaft, die Sympathie, die Tatsache, dass man jemanden mag, wiegt schwerer. Mitunter mag man jemanden sogar wegen seiner Schwächen, weil man genau weiß, dass die Vergesslichkeit des anderen, sein großer Appetit oder andere Dinge Teil der Persönlichkeit des Freundes sind .

 

-       Beobachtung 12: Ein Freund ist jemand, der sich nicht von seinem Neid beherrschen lässt

Auch hier spielen wieder die unterschiedlichen Lebensweisen eine Rolle, die Leben von Hector und Brice haben sich in entgegen gesetzte Richtungen entwickelt: Hector ist im Job inzwischen erfolgreich, bei Brice liegen die Tage, in denen er von Stars gefragt wurde, eine Weile zurück. In gewisser Weise beneidet er Hector um seine Star-Patientin, die Lady. Doch die Freundschaft der beiden Männer wiegt mehr als der Neid.

An dieser Stelle fühlen sich sicher ebenfalls so mache Leser an sich selbst erinnert. Egal ob es in Kindertagen ist, an denen vielleicht die guten Noten des einen Freundes und der schulische Misserfolg des andere Freundschaften belastet oder gar zerstört, ob später, wenn der eine im Beruf Karriere macht und der andere einen Job hat, der ihm keinen Spaß, ob es mit Blick auf Beziehungen ist – der eine hat die scheinbar glückliche Familie, der andere wird betrogen und verlassen – Neid ist schnell ein Faktor, der Freundschaften zerbrechen lässt. Wenn trotz solcher Gegensätze die Beziehung der Freunde wichtiger ist, hat man es mit echter Freundschaft zu tun.

 

-       Beobachtung 13: Ein wahrer Freund wird nicht nur deinen Kummer teilen wollen, sondern auch deine Freuden.

Im Buch ist diese Beobachtung an eine Szene von Hector mit Brice und Valérie angelehnt. Valerie schwärmt von der Gegend, in die sie fahren und steckt damit auch die beiden Männer an. Es ist nicht ganz der Nagel auf den Kopf, aber die Szene kann man durchaus als Beispiel für Hectors „Beobachtung 13“ gelten lassen.

Wenn man das nun wieder in die eigenen Erfahrungen abgleicht, fällt mir auf: Freunde zu finden, die die Freude mit einem teilen wollen, ist leichter, als Freunde zu finden, die auch im Kummer für einen da sind. Trotzdem stimmt es natürlich: Es ist wichtig, dass Menschen, die einem nahe stehen, sich auch mit einem freuen können und nicht nur auf ihre eigenen Interessen fixiert sind.

 

-       Beobachtung 14: Wir Jungs unternehmen gern was zusammen, aber die Mädchen hocken immer nur rum und quatschen.

Hector redet mit seiner Familie darüber, was Frauen- und Männerfreundschaften unterscheidet. Petit Hector (Hectors Sohn) bringt es auf den Punkt: Mädchen reden viel, Jungs unternehmen dagegen etwas miteinander.

Hier kann man nur sagen – stimmt (weitestgehend). Denn manchmal ratschen und tratschen auch die Männer äußerst gern, so meine Beobachtung in meinem Umfeld! ;-)

 

-       Beobachtung 15: Es ist gut für die Freundschaft, wenn man gemeinsam Abenteuer erlebt.

Hier bezieht sich Hector/Lelord auf einen Elefantenritt, den er zusammen mit Brice und Valerie durch die Wildnis macht – auf der Suche nach Edouard. Auch wenn Spannungen zwischen den Freunden herrschten, so verbindet das gemeinsame Erleben.

Das stimmt weitestgehend: Wenn man mit Freunden zusammen ein Abenteuer überstanden hat, schweißt das zusammen: Denn alle wissen, dass man eine (gefahrvolle, ungewöhnliche, spannende) Situation gemeinsam erlebt und gemeistert hat. Man kann das Verhalten der anderen in dieser Situation wertschätzen und hat etwas, an das man sich gemeinsam erinnern kann. Außerdem überdeckt die Gefahr die Spannungen, die es sonst vielleicht gab und gibt.

 

-       Beobachtung 16: Langjährige Freunde sind in den Gobelin unseres Lebens eingewebt.

Hector macht sich wieder einmal Gedanken über Brice und darüber, ob und warum er noch sein Freund ist. Dabei kommt er zur Erkenntnis: Brice ist mittendrin und Bestandteil des fein gewebten Teppichs von Hectors Leben. Wenn man einen Teil eines Teppichs mitten raus lösen will, löst sich der Teppich auf – und geht kaputt. Daher kann man sich von alten Freunden, die so fest ein Teil des eigenen Lebens sind, nicht einfach trennen.

Dem kann ich teilweise zustimmen, teilweise auch nicht. Denn es hängt davon ab, wie fest diese Freunde wirklich Teil des Lebens sind oder ob sie nicht – um im Bild zu bleiben – sich vom Teppich ablösen wie morsch gewordene Fransen oder ausgebleichte Farbe.

 

-       Beobachtung 17: Ein Freund ist jemand, der dich daran hindert, zu weit zu gehen.

Hector und seine Freunde sind bei einem fremden Stamm angekommen, er nimmt ein Bad, Valerie will auch eins nehmen. Er merkt, dass er sie attraktiv findet. Sie merkt das auch, weiß aber zugleich, dass ihm das unangenehm ist – weil Hector verheiratet ist – und zieht sich wieder zurück – damit zwischen den beiden nichts passiert.

Zum einen zeigt dieser Moment einmal mehr, dass es schwer ist, dass Männer und Frauen nur Freunde sind – denn in diesem Fall hätte möglicherweise sogar Hector von sich aus mit Valerie geschlafen. Zum anderen kann man die Beobachtung natürlich auch auf alle möglichen Lebensbereiche ausdehnen. Freunde sind manchmal extrem wichtig und wertvoll, um uns zu bremsen und dafür zu sorgen, dass wir nicht Grenzen überschreiten – z.B. indem wir in ungerechten Situation, wenn der Chef sich falsch verhält, nicht aus der Haut fahren.

 

-       Beobachtung 18: Ein Freund ist jemand, der dich um Entschuldigung bitten kann.

Edouard hat Geld beiseite geschafft – zwar in guter Absicht, um Menschen zu helfen. Doch tatsächlich hat er damit viele andere (z.B. Clara und Petit Hector, die von Edouards Verfolgern bedroht wurden) in Gefahr gebracht. Edouard sieht seinen Fehler ein und bittet Hector um Entschuldigung.

Tatsächlich fällt es nicht jedem Menschen leicht, sich zu entschuldigen. Wenn es jemand tut, ist das schon einmal anständig. Wichtig ist aber auch, dass man sich bei Freunden entschuldigen kann und das auch macht. Denn Freundschaft kann nicht der Freundschaft wegen jeden Fehler ausbügeln. Wenn ein Freund einen Fehler begangen hat und sich dafür bei dem anderen Freund entschuldigt, zeigt das auch ein gewisses Maß an Respekt – und das ist wichtig im Leben!

 

-       Beobachtung 19: Ein(e) Freund(in) ist jemand, dem/der du oft dankbar bist.

Wieder geht es bei diesem Punkt innerhalb der Geschichte um Hector und Valerie. Valerie spürt einmal mehr, dass Hector sie attraktiv findet, mit ihr vielleicht ins Bett gehen würde, sie weiß aber auch, dass er es in gewisser Weise bereuen würde, weil er auch seine Familie liebt und Clara nicht betrügen möchte.  Valerie würde wahrscheinlich grundsätzlich durchaus eine Liebesbeziehung mit ihm anfangen – doch da sie weiß, dass ihn das in schwere Gewissenkonflikte stürzen würde, hält sie Abstand – und Hector ist ihr dafür dankbar.

Freunde, die so weit blickend sind und genau darauf achten, wie sie Freunde vor Schaden bewahren können, sind tatsächlich sehr selten und wertvoll. Valerie zeigt hier im Beispiel extrem viel Feingefühl und das, was man heute „emotionale Intelligenz“ nennt – eine wundervolle Eigenschaft, grade auch bei Freunden.

 

-       Beobachtung 20: Ein Freund ist jemand, der dich zu trösten versteht.

Hector weiß: Brice hat die Freunde betrogen. Nun ist Brice in Gefahr, Valeria weint deswegen, Hector nimmt sie – trotz der Gefühle, die er immer noch für sie hat, in die Arme.

Auch diese Beobachtung ist vom Grundsatz her eine ganz wichtige: Zu trösten ist zwar ein Teil nur von dem Fakt, für Freunde (auch in der Not) da zu sein. Aber es ist ein ganz wichtiger. Denn gerade wenn man sich elend und allein fühlt, braucht man Trost und keine wichtigtuerischen Worte, keine Moralpredigten, keine Hinweise, was falsch gelaufen ist, keine Einwände, was dagegen sprechen würde, zu trösten (in dem Fall würde dagegen sprechen, dass Hector Valerie immer noch sehr attraktiv findet und Angst hat, dass sie es merkt und mehr passiert).

 

-       Beobachtung 21: Ein Freund ist jemand, mit dem du gerne und oft lachst

Nach den Erlebnissen und Beobachtungen, die Hector bislang gemacht hat, wirkt diese fast ein wenig sehr einfach. Hector erzählt Jean-Marcel von den Erlebnissen der Freunde – und beide können nun rückblickend lachen.

Tatsächlich ist es extrem wohltuend und wichtig, mit Freunden lachen zu können. Das Lachen befreit, sorgt dafür, dass man sich gut fühlt.

 

-       Beobachtung 22: Freundschaft speist sich aus einer Mischung aus gemeinsam geteiltem Vergnügen, gegenseitigem Wohlwollen, Wertschätzung und Bewunderung.

Hector versucht noch einmal abschließend seine Beobachtungen zusammen zu fassen. Sein Satz gilt für viele seiner Freunde – er zweifelt aber, ob er so auf Brice noch zutreffen kann, der die Freunde an ihre Verfolger verraten hat.

Ich persönlich finde diesen Satz nicht ganz griffig. Aber im großen und ganzen stimmt er: Mit Freunden will man Spaß habe, man mag, schätzt, respektiert und bewundert sie – und fühlt sich deswegen gut mit ihnen.

 

 

6. Erzählweise

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Francois Lelords Erzählweise ist speziell. Er sorgt dafür, dass der Leser immer sehr dicht an Hectors Seite bleibt. Das ist zunächst einmal sehr gut. Er erzählt die Geschichte in der dritten Person – dadurch behält man dennoch ein wenig Distanz zu DER Hauptfigur der Geschichte.

Das Spezielle ist viel mehr die Art, wie Lelord erzählt, die Sätze. Sie sind einfach und klar, mitunter zu klar. Man merkt (darauf gehe ich nachher noch genauer ein), dass er nicht mehr ganz so simpel schreibt wie noch in seinem Glücksbuch.

 

 

7. Vergleich mit dem Glück

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Es gehrt hier um den Vergleich mit Lelords erstem Hector-Buch, „Hector und die Suche nach dem Glück“. Es war ein weltweiter Bestseller. Mich persönlich hat das Buch aber damals enttäuscht. Die Sprache fand ich sehr simpel, die Sätze waren kurz, wie bei einem Kinderbuch, bei dem man Kinder erst einmal ganz einfach Dinge begreiflich machen will. Die guten Gedanken gingen in dem Glücksbuch für mich unter.

Hier, bei „Hector und das Wunder der Freundschaft“, wirkt die Sprache etwas ausgefeilter und besser. Dadurch fällt mir persönlich das Lesen auch deutlich leichter, es ist nicht ganz so anspruchslos.

 

 

8. Zielgruppe

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Bei der Zielgruppe werde ich in diesem Fall garantiert nicht „Jedermann“ schreiben (können). Denn ich bin überzeugt, dass viele Leser sich nicht auf eine Geschichte, die doch ein wenig „lehrreich“ sein soll und in der es um Gedanken rund um die Freundschaft geht, einlassen wollen. Daher ist „Hector und das Wunder der Freundschaft“ wohl am ehesten etwas für Leute, die sich Gedanken machen und vielleicht auch ihre eigenen Ansichten über die Freundschaft mal in Buchform abgleichen wollen. Ich vermute, dass der Roman tendenziell eher weibliche als männliche Leser anspricht. Altersmäßig ist die Zielgruppe schwer einzuschätzen: Coole jüngere Leserinnen oder auch ältere, die mehr hochgeistige Lektüre schäzen, werden vielleicht nicht so sehr für diesen Roman sein.

 

 

9. Daten zum Buch

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Francois Lelord: Hector und das Geheimnis der Freundschaft

Piper (September 2010), 16,95 Euro, 224 Seiten

ISBN-10: 3492051669, ISBN-13: 978-3492051668

Übersetzung: Ralf Pannowitsch

 

 

10. Pro & Contra

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Pro

- treffende Gedanken zur Freundschaft

- ausgefeilter formuliert als das Lelord-Glücks-Buch

 

Contra

- man muss sich auf die Art der Geschichte einlassen

 

 

11. Fazit
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Ich bin ein wenig zwiegespalten. Einerseits hat es mir „Hector und das Wunder der Freundschaft“ angetan. Denn die Beobachtungen, die Hector zum Thema Freundschaft macht, sind sehr treffend. Über viele Dinge habe ich mir selber auch schon mal Gedanken gemacht. Man kann sich also als Leser darin wieder finden und ganz gut darüber nachdenken, welche Einstellungen man selber zur Freundschaft hat. Das finde ich sehr wohltuend. Mir gefällt außerdem, dass die Geschichte deutlich ausgefeilter und erwachsener formuliert ist als das Glücksbuch von Lelord.

Andererseits gilt: Man muss sich auf die Art der Erzählung einlassen. Mir ist gerade Hector, die Hauptfigur, die man intensiv begleitet, nicht unsympathisch – aber Hector ist vielleicht andererseits auch niemand, mit dem ich befreundet wäre, also auch kein Charakter, der mich voll und ganz begeistern würde. Auch die Geschichte selber finde ich doch etwas merkwürdig und in weiten Teilen nicht sehr realistisch.

Alles in allem schwanke ich bei der abschließenden Bewertung ein wenig – zwischen drei und vier Sternen. Im Zweifel runde ich aber im Sinne des Testkandidaten auf vier Sterne auf und vergebe eine Empfehlung – mit den genannten Einschränkungen.