Licht und Schatten

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martinabade Avatar

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Gesellschaftliche Dystopien haben Konjunktur. Eine Dystopie schildert einen „üblen Ort“, eine Zukunft, die schwarz aussieht und in der Regel böse endet. Was wäre wenn, ….. das Hitler-Regime den Krieg gewonnen hätte (Andreas Eschbach: NSA), Terroristen uns den Strom abdrehen, den amerikanischen Präsidenten bedrohen etc. (die Romane von Marc Elsberg), gewaltbereite Neonazis sich organisieren, die sich die Unzufriedenen unseres Gesellschaftssystems zunutze machen (Jerôme Leroy: Der Block), der Clash of Cultures droht, das alte Europa untergehen zu lassen (Michel Houllebeqc: Die Unterwerfung; Constantin Schreiber: Die Kandidatin).

Und hier kommt gleich die nächste: Was wäre, wenn eine Partei, nicht unähnlich der AfD, angeführt von einem charismatischen Vorsitzendem aus „altem Adel“, die Schwäche der Demokratie nutzt und das Bundeskanzleramt erobert? Davon handelt der Debutroman von Sarah Höflich. Die Autorin, Jahrgang 1979, hat bisher als Drehbuchautorin und Produzentin für die UFA gearbeitet, das merkt man ihrem Schreibstil deutlich an und ich würde mich nicht wundern, wenn wir „HeimatSterben“ bald verfilmt sehen.

Als Teppich unter den Polit-Plot breitet Höflich die Geschichte der Familien Ahrens und von Altdorff aus. Freundlicherweise bekommt der Leser und die Leserin im Innendeckel einen Stammbaum zur Orientierung. Das Cover ziert ein verschimmelnder Apfel, der bekanntlich nicht weit vom (Stamm-)baum fällt. Dabei ist schnell zu spüren, welche Geschichte die Autorin eigentlich erzählen möchte, die der Familie. Oma Tilde Ahrens, die als einziges Familienmitglied Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Osten überlebt hat, liegt hochbetagt im Sterben. Aus den USA fliegt auf die letzte Minute Enkelin Hanna Ahrens, nicht Hanna Ahrendt, wie sie dort immer wieder erklären muss, ein. Tilda bittet Hanna kurz vor ihrem Tod, die Familie zusammenzuhalten. Und die Handlung nimmt ihren bösen Lauf.

Die Familie hat alles zu bieten, was die Leserschaft sich wünscht: den schwulen aidskranken Gentlemen-Onkel, dessen Neffe sich in ihn verliebt; der iranische Zahnarzt, der Bauer, die magersüchtige Schwester, die Hippie-Mutter und natürlich der machtgierige Schwager von Altdorff, der mit adligem Pomp und nationalistischem Gepränge ins Bundeskanzleramt einzieht.

Als Katalysator der Handlung und Ort der tieferen Reflexion dient eine langjährige und intime Briefkorrespondenz zwischen Tilde und Felix.
In der wahren Welt der Politik wird Felix mit den harten Realitäten konfrontiert. Derweil formiert sich an der Basis seiner Partei der militante Widerstand. Vokabeln wie „BürgerWehr“ und „Ermächtigungsgesetz“ fallen. Die Bundesrepublik scheint auf dem Weg in ein System, dass Fortschrittlichkeit, Individualität und Toleranz konsequent bekämpft.

Ein spannendes und lesenswertes Buch mit kleinen Abstrichen. Für das nächste wünsche ich mir weniger Klischée und einen Lektor, der die Personnage so zusammenstreicht, dass jeder Figur ausreichend Raum und schriftstellerische Sorgfalt bleibt.