Eine schmerzhafte Geschichte, feinfühlig erzählt

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* Spoilerfreie Rezension! *

~„Heimkehren“ ist ein wichtiges Buch, das manchen die Augen öffnen wird und zeigt, dass die Hautfarbe auch heute noch eine erschreckend große Rolle spielt, wenn es um Chancen und Möglichkeiten geht. Yaa Gyasi beweist, dass sie das Talent hat eine schwierige, schmerzhafte Geschichte auf eine spannende, intensive und dennoch irgendwie unaufgeregte, leicht verständliche Weise zu erzählen und zieht die LeserInnen mit liebevoll ausgearbeiteten Figuren, einem flüssigen, feinfühligen Schreibstil und schockierenden Ungerechtigkeiten in den Bann. Yaa Gyasi ist ein Name, den man sich merken sollte. ~


Inhalt

Die Halbschwestern Effia und Esi lernen sich niemals kennen und könnten nicht unter unterschiedlicheren Umständen ihr Leben leben. Während Effia einen Briten heiratet und es ihr an nichts fehlt, lebt Esi in einem unterirdischen Verlies und wartet darauf, als Sklavin verkauft zu werden. Yaa Gyasi folgt in diesem Buch Effias und Esis Nachkommen bis in die Gegenwart und zeigt auf, wo es immer noch Rassismus gibt und warum man es als farbige Person immer noch schwerer hat.

Informationen

Erzählstil: Figuraler Erzähler, Präteritum;
Perspektive: aus 14 verschiedenen (männl. und weibl. Perspektiven)
Kapitellänge: meist ca. 25 Seiten
Tiere im Buch: +/- Es werden keine Tiere gequält, aber einige Male wird klar, dass eine Ziege geschlachtet wird, auch wenn dies nicht explizit beschrieben wird.

Meine Meinung

Einstieg & Schreibstil

Der Einstieg gelingt leicht. Schon das erste Kapitel bietet eine spannende Geschichte, die die LeserInnen in die fremde afrikanische Stammeskultur einführt und so den Horizont erweitert. Der Schreibstil ist eine der größten Stärken des Buches: Unaufgeregt, ruhig und flüssig lesbar führt er durch die teilweise schwer zu verdauende Geschichte, ist dabei aber stets feinfühlig und sensibel und schafft es spielend leicht, die geschilderten Orte und Figuren vor dem geistigen Auge zum Leben zu erwecken.

„Der Wind blies durch die Tür, die der Junge offen gelassen hatte. Er wehte zwischen den großen, weißen Säulen hindurch, die das Haus hielten, schlängelte sich darum und wirbelte, bis er in Jos schmalen Gehörgang fuhr. Er kam, um ihm zu sagen, dass es Herbst geworden sei in Baltimore […]“ Seite 183

„‘Wir glauben dem, der die Macht hat. Er darf seine Geschichte schreiben. Wenn ihr Geschichte studiert, müsst ihr euch deswegen immer fragen: Wessen Geschichte bekomme ich nicht zu hören? Wessen Stimme wurde unterdrückt, damit die andere Stimme zu hören ist? Sobald ihr das herausgefunden habt, müsst ihr auch diese Geschichte suchen. Dann bekommt ihr ein klareres, wenn auch noch immer unvollständiges Bild.‘“ Seite 312

Aufbau

Der Debütroman von Yaa Gyasi besitzt einen ungewöhnlichen Aufbau: Die Geschichte startet mit den Schwestern Esi und Effia und verfolgt deren Nachkommen bis in die Gegenwart. Lücken, die zwangsweise wegen der kurzen Kapitel entstehen, werden zum Beispiel durch Rückblenden in den Kapiteln der Folgegenerationen gefüllt, so dass der Leser stets erfährt, wie es den Protagonisten nach dem kurzen Stück Weg, das man mit ihnen gemeinsam gehen darf, weiter ergangen ist. Sehr praktisch hat sich beim Lesen der Stammbaum hinten im Buch erwiesen, der eine große Hilfe darstellt, wenn es darum geht, verschiedenen Figuren und ihre Verwandtschaftsverhältnisse nicht zu verwechseln. Das Buch enthält außerdem ein Interview mit der Autorin und einen kurzen Aufsatz darüber, warum Präsident Trumps Regierungsperiode besonders (aber nicht nur) für farbige Menschen eine schwierige Zeit werden wird.

Protagonist & Personen

Yaa Gyasi ist eine talentierte Autorin, der es gelingt, 14 komplett unterschiedliche Figuren zu kreiren, die alle nach dem Lesen (wenn auch nicht gleich stark) noch im Kopf präsent sind. In nur wenigen Seiten lernt man die Protagonisten erstaunlich gut kennen und ich war immer wieder beeindruckt, wie viel Tiefe die Figuren in der kurzen Zeit erhalten. Hier könnten sich einige AutorInnen eine Scheibe abschneiden, denen es auch auf 300 Seiten nicht gelingt, ihren Charakteren Tiefe zu verleihen. Interessant ist, dass ich nach fast jedem Kapitel wahnsinnig gerne noch mehr über die Hauptfigur erfahren hätte und mich deshalb kaum auf das folgende einlassen konnte. Doch auch dieses zog mich im Anschluss so sehr in den Bann, dass es mir am Ende des Kapitels wieder gleich ging. So entsteht ein „Teufelskreis“, dem man sich nur schwer entziehen kann und durch den Drang, herauszufinden, wie es mit den ProtagonistInnen weitergeht, liest man Kapitel für Kapitel. So schafft es das Buch, Spannung aufzubauen und die LeserInnen stets neugierig zu halten.

Besonders gut gefallen haben mir die ersten Generationen, diese schienen mir besonders liebevoll ausgearbeitet. Die fremde afrikanische Kultur mit ihren mir unbekannten Bräuchen und Gepflogenheiten hat mich fasziniert, auch wenn ich mir selbst ein solches Leben nicht vorstellen könnte. Je weiter die Zeit in Richtung Gegenwart fortschritt, umso mehr schwand allerdings meine Begeisterung. Die letzten Generationen erschienen mir im Vergleich zu den ersten irgendwie blasser, farbloser und weniger erinnerungswürdig. Fast schien es, als hätte die Autorin selbst die ersten Generationen lieber gehabt und als wäre irgendwann ein bisschen die Luft raus gewesen. Hierfür gibt es einen Stern Abzug.

Idee und Themen

Viele wichtige Themen werden in diesem Roman angeschnitten, einige werden auch vertieft. Im Zentrum steht Rassismus und die Tatsache, dass die Hautfarbe auch in der heutigen Zeit noch immer eine erschreckend große Rolle spielt, wenn es um Chancen und Möglichkeiten geht. Das Buch erscheint zu einer Zeit, in der Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wieder auf dem Vormarsch zu sein scheint. Auch deshalb ist dieses Buch ohne Zweifel ein wichtiges Werk, das berührt, schockiert und so manchem die Augen öffnen wird, der denkt, dass es Rassismus in der modernen Gesellschaft doch eigentlich gar nicht mehr gibt. Yaa Gyasi hat gezeigt, dass sie das Talent hat, eine schwierige, schmerzhafte Geschichte auf eine spannende, intensive und dennoch irgendwie unaufgeregte, leicht verständliche Weise zu erzählen. Man sollte sie auf jeden Fall im Auge behalten.

Mein Fazit

„Heimkehren“ ist ein wichtiges Buch, das manchen die Augen öffnen wird und zeigt, dass die Hautfarbe auch heute noch eine erschreckend große Rolle spielt, wenn es um Chancen und Möglichkeiten geht. Yaa Gyasi beweist, dass sie das Talent hat eine schwierige, schmerzhafte Geschichte auf eine spannende, intensive und dennoch irgendwie unaufgeregte, leicht verständliche Weise zu erzählen und zieht die LeserInnen mit liebevoll ausgearbeiteten Figuren, einem flüssigen, feinfühligen Schreibstil und schockierenden Ungerechtigkeiten in den Bann. Yaa Gyasi ist ein Name, den man sich merken sollte.

Bewertung:

Idee & Aufbau: 5 Sterne
Ausführung: 4 Sterne
Schreibstil: 5 Sterne
Protagonisten: 4 Sterne
Themen / Wichtige Botschaften: 5 Sterne ♥
Spannung: 4 Sterne


Insgesamt:

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Dieses Buch erhält von mir vier Sterne!