Familiengeschichte vor dem Hintergrund der Sklavenhaltung

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
corsicana Avatar

Von

Noch nie habe ich ein Buch über ein so schwieriges Thema gelesen, das literarisch so gut konzipiert und geschrieben ist.

Ehrlich gesagt habe ich vor dem Lesen ein wenig gezögert. Plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, ob ich wirklich so viele schlimme Dinge über Sklavenhaltung und Rassismus lesen kann und will.

Aber als ich einmal angefangen hatte, konnte ich nicht mehr aufhören.
Dieses Buch zieht in den Bann, auch wenn natürlich viele schlimme Dinge passieren. Aber es gibt in jedem Kapitel auch etwas Herzerwärmendes, Lebens- und Liebenswertes. Und das macht die Lektüre gut erträglich. Der Schreibstil ist darüber hinaus klar und gut verständlich. Irgendwie leicht, trotz der schweren Thematik.

Das Buch erzählt chronologisch die Geschichte von zwei Familienzweigen, die aus zwei Halbschwestern entstehen (die sich übrigens nie kennen lernen).

Die ältere Schwester Effia wächst an der Goldküste - auf dem Gebiet des heutigen Ghana - als ungeliebtes Kind einer Stiefmutter auf, der das Baby untergeschoben wurde. Später wird sie mit einem weißen Kommandanten der Sklaven-Festung verheiratet. Es war wohl sehr üblich, dass die weißen Sklavenhändler eine einheimische Frau heirateten - obwohl in der Heimat eine Ehefrau und Kinder warteten. Die Ehe wird trotzdem einigermaßen glücklich. Und die Nachfahren dieser Verbindung werden reich und mächtig mit dem Sklavenhandel. Denn es war mitnichten so, dass nur die Weißen die Schwarzen gejagt und gefangen hätten - nein - diese Arbeit haben einheimische Stämme gemacht, die ihre Kriegsgefangenen meistbietend an die Weißen verkauft haben. Dies war für mich persönlich eine neue Erkenntnis, hier war ich vorher wohl uninformiert.
Dieser Erzähl-Strang reicht von Effia bis zu der Zeit, als ihre Nachfahren sich zunächst vom Sklavenhandel abwenden und spätere Generationen in die USA auswandern.

Esi, die Halbschwester von Effia, wächst zunächst mit ihrer Mutter auf. Als ihr Dorf dann aber überfallen wird, gibt die Mutter auf und Effia wird als Sklavin nach Amerika verschleppt. Das Einzige, was die Mutter ihr hinterlässt, ist ein Stein mit Goldschimmer. Den gleichen Stein hat die Mutter damals für Effia hinterlassen - und Effia wird ihn bei ihrer Heirat bekommen und dabei erfahren, dass sie nicht die Tochter ihrer Stiefmutter ist, sondern von einem Hausmädchen abstammt, die "ins Feuer gegangen" ist.

Feuer und diese Steine werden im gesamten Roman immer wieder thematisiert.
Dem Familienzweig von Effia wird es gelingen, den Stein von Generation zu Generation weiterzugeben. Esi verliert den Stein jedoch schon im Verlies der Festung, vor der Verschiffung nach Amerika. Und auch im folgenden Verlauf sind Esis Nachkommen die Opfer von Versklavung, unmenschlichen Arbeitsbedingungen und Rassismus. Und der Weg hinaus in ein menschenwürdiges Leben ist hart.

Und irgendwann am Ende werden die Nachfahren der beiden Schwestern die Festung in Ghana besuchen. Und "Heimkommen".

Erzählt wird eine fulminante Familiengeschichte in recht kurzen Kapiteln, die jeweils abwechselnd von einer Person pro Generation aus jeweils einem Familien-Strang erzählen. (Ein Tipp: Hinten im Buch gibt es einen Stammbaum, der hilft bei der Übersicht).
Auch wenn auf diese Art nur Bruchstücke aus den Erlebnissen der Familien erzählt werden, wirkt die gesamte Geschichte trotzdem komplett.

Als Leser erfährt man immer kurz, was aus der Vorgängergeneration geworden ist. Dieses abwechselnde Erzählen macht die Lektüre spannend. Durch geschicktes Erzählen schafft es die Autorin, dass man als Leser den Überblick behält.
Es ist übrigens auch möglich, zunächst nur die geraden und danach die ungeraden Kapitel hintereinander zu lesen. Ich habe dies ab dem zweiten Teil des Buches gemacht und es gab keine Verständnisschwierigkeiten.

Nachdem ich in letzter Zeit recht viele Bücher über Afrika und Rassismus gelesen habe (Americanah, Jeder Tag gehört dem Dieb, Diese Dinge geschehen nicht einfach so, Swing Time), muss ich sagen, dass dieses Buch das literarisch und inhaltlich am besten gelungene Werk war.

Dieses Buch hat mich berührt und begeistert.
Und ich denke, es sollte Schullektüre werden.