Herausragendes Stück Literatur!

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marionhh Avatar

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Ghana, Ende des 18. Jahrhunderts: Effia und Esi sind Schwestern, wissen aber nichts voneinander. Effia wächst bei ihrem Vater und dessen Frau mit ihren Geschwistern auf, sie leben in einem Dorf in der Nähe des großen britischen Forts Cape Coast. Als Effias Schönheit erblüht, wird der Gouverneur des Forts auf sie aufmerksam und nimmt sie zu seiner ghanaischen Ehefrau. Obwohl im Fort Effias Landsleute gefangen gehalten und als Sklaven in die Neue Welt verkauft werden, sind die beiden einander zugetan und glücklich miteinander. Effias Sohn wird ein erfolgreicher Sklavenhändler, ihr Enkel jedoch entzieht sich seiner Bestimmung und wird einfacher Landwirt fern seiner Heimat. Effias Nachkommen leben lange im Land ihrer Vorfahren, erst im 20. Jahrhundert wandert ein Nachfahre, Yaw, nach Alabama in den USA aus.

Esi lebt zunächst glücklich bei ihren Eltern, sie weiß nichts von der Vergangenheit ihrer Mutter Maame. Ihr ist jedoch ein schwereres Schicksal beschieden als ihrer unbekannten Halbschwester, sie wird vom Nachbarstamm geraubt, in Cape Coast festgesetzt und schließlich als Sklavin verkauft. Ihre Tochter Ness erleidet ebenfalls ein hartes Los als Sklavin bei einem brutalen Herrn in Alabama, sie sorgt jedoch dafür, dass ihr Sohn Kojo frei sein kann. Ihre Nachkommen zieht es quer durch die Vereinigten Staaten, sie leben in Georgia, Baltimore/Maryland, New York und schließlich Kalifornien. Hier schließlich leben sowohl die Ururururenkelin Effias, Marjorie, als auch der Nachfahre Esis, Marcus…

Ein großartiges Buch, ein Pageturner, den man kaum aus der Hand legen konnte! Eine Geschichte, die nachhallt, die betroffen, aber auch Hoffnung macht, die den Leser alle möglichen Emotionen durchleben lässt, von Wut über Fassungslosigkeit, Freude und Trauer, man taucht tief ein ins Geschehen, lebt mit und im Nachgang kann man sich nur schwer von den Eindrücken lösen. Ein Buch, das einen zwingt, sich mit der uns doch eher unbekannten Geschichte Ghanas zu beschäftigen, man will unbedingt mehr wissen, nicht nur über die Charaktere, sondern auch über die realen Menschen.

Zunächst einmal ist es ein toll gebundenes Buch, das edel daherkommt. Es liefert interessante Zusatzinformationen wie das Interview mit und einen Artikel von der Autorin von Anfang des Jahres sowie im Anhang einen Stammbaum der beiden Linien Effias und Esis – sehr hilfreich! Untergliedert ist es in zwei Teile, die fast gleich stark sind, der zweite Teil beginnt mit der 4. Generation aus Esis Linie. Ich habe versucht, das Geschehen der einzelnen Generationen zeitlich einzuordnen, demnach zieht sich das Geschehen von Mitte/Ende des 18. Jahrhunderts, also etwa 1775, bis in die 80er Jahre des 19. Jahrhunderts. Immer im Wechsel wird in einzelnen Kapiteln chronologisch über Effia und Esi und ihre jeweiligen Nachkommen erzählt, d.h. jeder erhält ein Kapitel in unterschiedlicher Länge. Naturgemäß treten auch in den Kapitel der Söhne und Töchter die jeweiligen Eltern auf, so dass man immer noch mehr über deren Leben erfährt. Einige Figuren werden in ihren eigenen Kapiteln meines Erachtens etwas zu kurz behandelt, manche blieben mir daher fremd, andere wiederum gingen mir so nah, dass ich regelrecht erschüttert war, dass es mit ihnen nicht weiterging. Am nächsten standen mir Effia, vielleicht weil es mit ihr anfing, aber auch über Ness, Kojo und Anna (seine Frau) und Abena hätte ich gerne mehr erfahren, ihre Schicksale bewegten mich tief.

Es ist keine leichte Kost, die uns die Autorin da bietet, es gibt eine Vielzahl an Charakteren und alles in allem ist der Roman vollgepackt mit Information, teilweise musste ich auch Abschnitte zweimal lesen bzw. zurück blättern, um Zusammenhänge zu erkennen oder Wissen aufzufrischen. Was aber nicht heißt, dass es sich nicht sehr gut lesen lässt, man ist sofort gefesselt und folgt beinahe atemlos dem Geschehen, aber man versucht einfach immer zu rekonstruieren, in welchem Ort und zu welcher Epoche sich das Ganze gerade abspielt und zieht eine Linie zu vorherigen Generationen. Zum Glück gibt die Autorin immer Hinweise, so dass man alles nachvollziehen kann. Zeitlich gesehen spielen sich die Ereignisse zu interessanten historischen Epochen ab und man erfährt viel über den Atlantischen Dreieckshandel, man erlebt den Fugitive Slave Act von 1850 am Beispiel von Kojo und Anna mit und man begibt sich in die Jazzclubs ins Harlem der 1930er Jahre mit Willie und Sonny. Ich persönlich fand die Geschichte um den Sklavenhandel am spannendsten, wie z.B. die verschiedenen Stämme mit den Briten zusammenarbeiteten und ihre Landsleute, wenn auch von anderen Stämmen, als Sklaven verkauften und dadurch reich wurden. Dies wird im Buch durch Effias Sohn Quey verkörpert. Es gibt rührende Liebesgeschichten wie die von Yaw und Esther und allen voran die Liebe von Eltern zu ihren Kindern und die Hoffnung und das Bestreben, dass diese es einmal besser haben als sie selber, es gibt geläuterte Verbrecher und Junkies und besonders Esis Seite erlebt viel Leid, von der Sklaverei angefangen, Vergewaltigungen und Diskriminierung, Rassentrennung und die Not in Harlem. Aber immer ist da auch Hoffnung und die Kapitel enden doch zumeist versöhnlich und mit einem hoffnungsvollen Ausgang für die Protagonisten.

Die einzelnen Linien treffen durch die Zeiten hinweg nicht aufeinander, und die Schicksale unterscheiden sich doch sehr voneinander. Erst die sechste Generation nach Effia und Esi, die in den 1980er Jahren leben, können so langsam von sich behaupten, wirklich frei zu sein, in ihren Entscheidungen, in ihrem Leben. Marjorie, Effias Nachfahrin, hochintelligent und aus Alabama, ist noch sehr mit ihrem Heimatland, dessen Geschichte und Mythen und der Geschichte ihrer Vorfahren verwurzelt, sie kennt ihre Heimat Ghana und hat die Angst vor dem Feuer im Blut. Marcus aus Esis Linie kommt aus New York, er hat die Angst der ehemaligen Sklaven vor dem großen Wasser im Blut. Beide lernen sich im San Fransisco der Neuzeit kennen, finden sich und überwinden mit gegenseitiger Hilfe ihre Ängste. Beide kehren heim nach Ghana zu ihren Wurzeln, und so treffen Effias und Esi im Blut ihrer Nachfahren doch noch aufeinander und der Kreis schließt sich.

Fazit: Ein tolles absolut lesenswertes Buch für die anspruchsvolleren Leser. Nichts zum Einfach-so-Weglesen, sondern ein Buch, das lange nachhallt. Vorhandenes Interesse für Geschichte ist von Vorteil, aber das Buch fesselt vor allem durch seine bildhafte Sprache, seine Charaktere und die Emotionen, die es auslöst. Macht Lust auf das Land und die Menschen und man wünscht sich noch viel von dieser Autorin zu hören!