ein Lesehighlight

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In diesem Erstlingsroman von Martina Behm zieht eine junge Familie von Hamburg in ein Zweihundert- Seelen-Dorf in Schleswig-Holstein. Ingo, der junge Ehemann, pendelt fortan täglich zu seinem Start-Up-Job nach Hamburg. Lara, seine Ehefrau, von der die Initiative zum Erwerb des alten Resthofes ausging, arbeitet von ihrem neuen Zuhause aus.

Hier auf dem großen Resthof mit ebenso großen Garten, Hühnern, Kaninchen und einem neu angeschafften Hund sollen die beiden Kinder in der Natur in guter Luft und inmitten der Dorfgemeinschaft unbeschwert aufwachsen. Doch schnell wird klar, dass das neue Landleben nicht nur romantisch ist. Ingo fährt auf dem Heimweg von Hamburg eine weiße Hirschkuh an, was, glaubt man den Dorfältesten, Unglück nach sich ziehen soll. Ist es nur Aberglaube oder steht das Leben der neuen Dorfbewohner Ingo und Lara wirklich unter keinem guten Stern ?

Jedenfalls beginnt es seit dem Wildunfall spürbar zu kriseln in deren Ehe. Der Resthof ist zwar groß, die Räume aber nach der durchgestylten Renovierung schwer beheizbar, bisweilen ist ein leichter Güllegeruch von den benachbarten Landwirtschaften wahrnehmbar. Auch die Integration in das dörfliche Leben mit seiner teilweise noch überkommenen Rollenaufteilung in einerseits fleissige Landfrauen und andererseits hart arbeitende Bauern gestaltet sich schwierig. Lara freundet sich mit Jutta an, die vor 30 Jahren in der alten Schmiede eine sechsköpfige WG gründete. Heute sind hiervon nur noch Jutta selbst und Armin übrig geblieben. Jutta gibt Schlachtkurse für alternative Neuhühnerhalter aus der Stadt und solche, die wie Ingo und Lara von der Stadt aufs Land gezogen sind. Das mutet durchaus komisch an und zeigt gleichzeitig, dass hier Welten aufeinander treffen, nämlich die einst hippen Stadtmenschen, mit der Realität der Hühnerhaltung konfrontiert, zu der eben auch das Schlachten, Rupfen usw. gehört.

Neben Ingo und Lara, Jutta und Arnim spielen noch alteingesessene Ehepaare, Landwirte und deren Kinder eine Rolle. Der Leser lernt das gesamte Leben all dieser Dorfbewohner kennen. Unter vielen anderen beispielsweise die nahezu perfekten Landfrauen Tove und Margrit und ihre Ehemänner, ein Schweinebauer und ein Hühnermäster. In Rückblenden wird erzählt, wie sie sich vor Jahren kennenlernten und Familien gründeten. Tove, heute in einer unglücklichen Ehe gefangen und Margrit, die sich einst als Hotelfachfrau bewußt fürs Leben in der Landwirtschaft entschied. Die Kinder, teils nach dem Studium weggezogen, teils die Nachfolge des elterlichen Hofes antretend, führen ein emanzipierteres und selbstbestimmteres Leben als noch ihre Eltern.

Die Härten des Lebens als Landwirte, die Schwierigkeiten einen landwirtschaftliche Betrieb auskömmlich zu bewirtschaften, werden beschrieben. Mit der Person des alleinstehenden Uwe wird auch die Jägerschaft thematisiert. Uwe ist Landwirt aus Liebe zu diesem Beruf, naturverbunden und tierlieb, auch oder gerade wegen der Jagdausübung.

Dieser Roman hat mir sehr gefallen, alldieweil die Autorin ihre Figuren sehr genau beobachtet, ihre Lebenssituationen und Gefühlslagen einfühlsam wiedergibt, nie sentimental wird oder gar kitschig. Das Landleben in all seinen Facetten, die dörfliche Gemeinschaft, die Nähe zur Natur, die Schwierigkeiten der Tierhaltung, überhaupt das Leben in einem Dorf gestern und heute. Es ist, als ob der Leser mitten unter den Dorfbewohnern lebt.

Die Charaktere werden insbesondere durch die eingeflochtenen Rückblicke in die Vergangenheit, auf ihre Jugend, ihre Werdegänge über Generationen hinweg, fein ausgeleuchtet. Es gibt Hoffnung für einzelne von ihnen, auch Rückschläge. Das Leben eben, authentisch geschildert. Ein toller Roman, der mich restlos begeistert hat. Ich vergebe 5 Sterne und kann die Lektüre sehr empfehlen.