Und niemand redet miteinander...

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wolfram Avatar

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War es die richtige Entscheidung, aus Hamburg hinaus aufs flache Land zu ziehen? Also so richtig raus, auf einen einsamen Hof hinter dem wirklich kleinen Dorf?
Lara gefiel das trubelige Smalltalk-Leben in Hamburg nicht sehr, sehnte sich nach dem verklärten Landleben. Doch mit zwei Kindern und einem lange pendelnden Mann ist es dann doch nicht so romantisch.
Kein "Dazugehören" kommt automatisch mit dem Umzug aufs Land, zumal Lara sich eigentlich auch nicht aktiv am Dorfleben beteiligen möchte. Da schimmern autistische Züge durch: Lieber weniger Interaktion mit anderen. Homeoffice statt Großraumbüro. Bei Dorffesten herumstehen und nicht wissen, wie sie sich am Gespräch beteiligen soll.

So richtig Spannung aufkommen will bei dem Buch nicht. Etwas unentschlossen tauchen Probleme und Konflikte auf, die sich dann aber unspektakulär wieder verziehen: Eine Bäuerin verdient sich beim Nachbar etwas hinzu und macht die Betten im Ferienhaus. Wird Bar bezahlt und, weil ihr Mann das Geld immer gleich einsackt, kriegt sie heimlich noch ein paar Scheinchen obendrauf. Ihr Mann, stellt sich heraus, ist aber gar nicht so böse, nur unglücklich und ratlos, weil ihre Beziehung erkaltet ist.
Der seltsame Schweinebauer ist auch nur einsam und trauert vergangenen Gelegenheiten nach.
Alles ganz harmlos, nirgends entwickelt sich ein Verbrechen aus den ganzen Andeutungen, die in anderen Büchern als verdächtige Anzeichen gehandelt werden.
Ich brauchte ungefähr 200 Seiten, um mit der Geschichte halbwegs warm zu werden. Bis ich alle Protagonisten kennengelernt hatte, ihre Probleme und Vergangenheiten. Bis das manchmal seltsame Verhalten einigermaßen erklärt war. Dann, allmählich, gibt es einige Dorfbewohner, die man mit oder trotz ihrer Macken lieben lernt. Den Uwe, der lieber macht ohne viel zu reden. Armin, der alternde Ex-Hippie, der mit seiner Mitbewohnerin Jutta gerne mehr hätte als nur ab und zu das Bett zu teilen und ansonsten nur die WG zu bewohnen. Der gerne mit ihr als Paar altwerden möchte, während für sie das WG-Leben und der Jahrzehnte dauernde Status Quo gerne so bleiben dürfte.
Und keiner redet, alles denkt nur. Wie bin ich eine perfekte Landfrau? Was erwarten alle von mir (ohne jemals nachzuprüfen)? Was ist mit meinem Mann oder Frau los (bloß nicht drauf ansprechen, Gedankenkarussell reicht völlig)?
Die Autorin scheint wirklich ganz furchtbare Erfahrungen mit dem Landleben gemacht zu haben...

Und dann, im letzten Drittel, tut sich endlich was. Frauen, wehrt euch und steht auf! Reihenweise denkt die weibliche Dorfbevölkerung mal an sich und lässt die bequemen Herrschaften hinter sich. Landfrau: Garten schön machen, kochen, putzen, Mann bedienen... Is nich mehr.

Am Ende wird es ein bisschen sentimental, wenn man plötzlich mal tiefere Gedanken der alten Dorfbewohner hört, Erinnerungen an die alte Zeit, die nicht immer gut, viel mehr oft sehr hart war.
Martina Behm scheint auf den letzten 50 Seiten zu versuchen, das Ruder noch einmal herumzureißen, um aus der depressiven Stimmung der Geschichte herauszukommen und hier und da kleine Fünkchen Hoffnung zu verteilen. Die 400 Seiten davor kann sie dadurch aber nicht wirklich aufhellen.