Hier könnte ich zur Welt kommen - Auf der Suche nach dem Ich

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Marjorie Celonas Debüt-Roman "Hier könnte ich zur Welt kommen" ist ein ganz besonderes Juwel. Es erzählt die Geschichte von Shannon, die am Tag ihrer Geburt als viel zu kleines Frühchen von ihrer Mutter vor dem YMCA ausgesetzt wurde. Shannon kam zu verschiedenen Pflegeeltern, bei denen ihr Leben nicht gerade schön verläuft. Endlich landet sie bei Miranda und deren Tochter Lydia-Rose, die gerade mal ein halbes Jahr älter als sie selbst ist.

Die Geschichte wird von Shannon erzählt, beide Erzählstränge. Im einen erzählt sie von ihrem Leben, im anderen vom Leben ihrer leiblichen Mutter. Die Tatsachen darüber findet sie zwar erst am Ende der Story heraus, aber sie erzählt beides parallel. Das allein macht die Geschichte schon zu etwas Speziellem, die Geschichte selbst jedoch geht ebenfalls extrem unter die Haut. Es ist unfassbar, wieviel Shannon mitbekommen hat, obwohl vieles in ihrer frühesten Kindheit geschehen ist; ebenso unfassbar, wieviel sie verdrängt bzw. in ein anderes Licht, in einen anderen Ablauf gerückt hat. Der Selbsterhaltungstrieb eines Kindes - eine ganz außergewöhnliche Eigenschaft.

Der Leser erfährt, wie es für ein Adoptivkind ist, ohne Wurzeln aufzuwachsen. Aber es erzählt auch, wie es für ein leibliches Kind ist, plötzlich die Mutter mit einer Adoptivschwester teilen zu müssen. Da ist das Ablehnen, aber auch eine besondere Freundschaft. Man darf ja nicht vergessen, dass beides Kinder auf dem Weg zum pubertierenden Teenager sind. Da hat man schon genug mit sich selbst zu tun, wenn das Leben "normal" verläuft. Kommen dann noch solche Aspekte dazu, wird es noch komplizierter. Aber auch Miranda hat es nicht leicht. Will sie doch mit ihren bescheidenen Mitteln beiden Mädchen gerecht werden, keine besser oder schlechter behandeln, aber doch ihrer leiblichen Tochter zeigen, dass sie eine besondere Verbindung haben.

Es kommt der Tag, an dem Shannon nicht nur über ihre leibliche Mutter nachdenkt, sondern auch den Wunsch hat, sie zu finden. Sie möchte so vieles erfahren: woher ist sie, woher hat sie ihre Figur, ihre Statur, ihre seltsamen Haare? Wer ist sie? Warum hat ihre Mutter sie einfach vor das YMCA gelegt?

Auf ihrer Suche findet sie zunächst Vaughn, der damals gesehen hat, wie ihre Mutter sie aussetzte. Zu ihm fasst Shannon Vertrauen und er hilft ihr bei der Suche.

Shannon hat das Glück, mit Katzen und einem Hund leben zu können. Doch dieses Glück ist auch wieder mit Verlust, den Shannon ja nur zu gut kennt, verbunden. Um so stärker wird ihre Verbindung zu Winkie, dem Hund, der sich ihr ganz eng anschließt und seit ihrem 5. Lebensjahr bei ihr ist. Er ist auch an ihrem 17. Geburtstag bei ihr, der ein ganz besonderer Tag ist.

Das Ende - es ist ebenso traurig, wie mutgebend. Shannons Wunden werden heilen - sowohl die seelischen, als auch die körperlichen. Und der Leser bleibt zurück und lauscht dem Buch, das so sehr in ihm nachhallt ....

Keine Sorge - diese vielen Infos zum Inhalt des Buches sind weniger Spoiler, als man vermuten könnte. Marjorie Celona schafft es, mit wenigen Worten unglaublich bildhaft vieles auszudrücken. Meine Angaben sind im Grunde nur ein Skelett, an dem noch sehr viel hängt - eben die eigentliche Geschichte. Immer wieder erlebt Shannon völlig ohne Vorwarnung etwas Neues. Eben genau, wie jeder Teenager in der Pubertät. All das formt sie zu dem Menschen, der sie am Ende des Buches ist.

Ein Buch, das sehr einfühlsam geschrieben ist. Viele Details, die jedoch nicht ausufern, eine perfekte Beschreibung des Seelenlebens eines Teenagers, ein krasser Spiegel der "Dämonen" unserer Zeit. Kurz, ein Buch, das nicht lockerflockigleicht zu lesen ist, aber es wert ist, gelesen zu werden.

Schade nur, dass der Titel zwar ein Satz aus dem Buch ist, aber dem Buch keineswegs gerecht wird. Der Originaltitel ist "Y" und passt auch für nicht-englisch-sprachige Leser sehr viel besser zum Buch. Denn außer dem "Y" als Kürzel für "why" (also "warum") ist das Y noch in vielen anderen Stellen des Buches und damit Shannons Geschichte von Bedeutung.