Y

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
hurmelchen Avatar

Von

Marjorie Celona ist mit ihrem Debüt ein phantastischer Roman gelungen!
"Hier könnte ich zur Welt kommen" ist der sehr sperrige deutsche Titel des Buches, das im Original viel treffender "Y" heißt. In diesem Buchstaben Y ist die dramaturgische Struktur der Geschichte angelegt. Zwei Wege, die an einem Punkt zusammenkommen, und zu einem gemeinsamen Punkt führen.
Celona erzählt die Geschichte des Waisenmädchens Shannon, das als Neugeborenes von seiner Mutter Yula (Y...) vor dem YMCA (Y...) Gebäude einer kanadischen Kleinstadt abgelegt und ausgesetzt wird. Parallel dazu wird Yulas Geschichte bis zu dieser Begebenheit erzählt.
Marjorie Celona hat für alle Figuren ihres Romans eine große Empathie, und so kann man deren Handlungen und Beweggründe nachempfinden, auch solche, die verwerflich sind.
Im Zentrum steht natürlich Shannon, das Findelkind. Sie reiht sich in die Schlange legendärer Literatur - Waisenkinder, wie z.B. Jane Eyre, Oliver Twist und Harry Potter ein, ist mutig, neugierig und einzigartig, dabei nicht durchweg liebenswert, denn ihr traumatischer Lebensstart, und die Missachtung bzw. der Missbrauch durch ihre ersten Pflegefamilien, hat sie dünnhäutig und schwierig gemacht. Das ist überhaupt das Großartige an diesem Roman. Nie gleitet er ins Kitschige. Shannons Stimme leitet den Leser, und ihre Stimme ist die, einer schnodderigen, verletzten Halbwüchsigen (Kompliment an die fabelhafte Übersetzung durch Christel Dormagen!). Ihr zur Seite stehen ihre Adoptivmutter Miranda und deren leibliche Tochter Lydia - Rose, bei denen sie, nach mehreren Fehlschlägen, ihre Familie findet, wenn auch nicht ohne emotionale Komplikationen.
Ein weiterer wichtiger Mensch in Shannons Leben, ist Vaughn, der Mann, der zu Beginn des Romans Shannons Mutter dabei beobachtet, wie sie ihr Baby aussetzt, und der den Verlauf der Geschichte verändern soll. Vaughn wird später Shannons väterlicher Vertrauter, dem der Leser einige der schönsten Sätze des Buches zu verdanken hat:" Du kannst dich richtig in die Scheiße reiten in deinem Leben. Du kannst Scheiße bauen, und dann kommt doch noch alles in Ordnung."
Auch beim emotionalen Höhepunkt der Geschichte, Shannons Treffen mit Yula, driftet Marjorie Celona nie ins süßlich Klischeebeladene ab. Es gibt zwar ein Happy End, aber eines, das realistisch ist, und zeigt, dass nicht immer die biologischen Eltern die wahren Eltern sind.
"Wir bekommen, was uns gegeben wird, nicht mehr, nicht weniger.", so Shannons kluge Schlußworte.
Diesen wundervollen Roman würde ich jedem ans Herz legen wollen, der vom Lesen mehr erwartet, als puren Eskapismus. Dieses Buch ist zutiefst menschlich und kann dazu dienen, das eigene Leben unter die Lupe zu nehmen.