Auf der Suche nach Julie

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dorli Avatar

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Am 07. September 2003 verschwindet die 16-jährige Julie Novak spurlos aus der Villa ihrer Eltern. Man vermutet eine Entführung, denn es gibt eine Lösegeldforderung, doch das Geld wird nie eingefordert. Alle Ermittlungen verlaufen im Sande, Julie bleibt trotz intensiver Suche unauffindbar. Als sich der Tag ihres Verschwindens zum zwanzigsten Mal jährt, beschäftigen sich Liv Keller und Philipp Hendricks in ihrem True Crime Podcast mit dem Fall, nicht ahnend, was sie mit ihrer Recherche und ihren eindringlichen Fragen ins Rollen bringen…

In „Himmelerdenblau“ geht es um das rätselhafte Verschwinden eines Kindes. Viel mehr noch geht es allerdings darum, was dieser Verlust mit den Menschen aus dem Umfeld der Vermissten macht. Auch zig Jahre später noch macht. Romy Hausmann geht der Frage nach, wie sich die ständige Ungewissheit, die immer wiederkehrenden Zweifel und vor allen Dingen die wilden Theorien von Außenstehenden auf das Leben der Angehörigen auswirken.

Mittelpunkt der Geschichte ist Julies Vater Theo. Der 74-Jährige war früher ein angesehener Chirurg an der Berliner Charité, ist mittlerweile Witwer, lebt verarmt in einer kleinen Wohnung und ist an Demenz erkrankt. Seine Krankheit und damit die Erkenntnis, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt, die Wahrheit über das Verschwinden seiner Tochter ans Licht zu bringen, machen ihn sehr empfänglich für Livs Nachforschungen. Die Podcasterin hat leichtes Spiel, sie entfacht den kleinen Funken Hoffnung, der Theo geblieben ist, schnell zu einem lodernden Feuer.
Neben Theo und Liv spielt auch der Altenpfleger Daniel Wagner eine wichtige Rolle. Er ist der Ex-Freund von Julie und wurde damals beschuldigt, etwas mit ihrem Verschwinden zu tun gehabt zu haben. Dafür hat es nie Beweise gegeben, dennoch hat Daniel bis heute mit den Auswirkungen der Anschuldigungen zu kämpfen.

Der Schreibstil von Romy Hausmann begeistert mich immer wieder aufs Neue. Sie hat ein ausgesprochen gutes Händchen für psychologisch ausgefeilte Thriller und versteht es ganz ausgezeichnet, das Leben und den Alltag ihrer Figuren authentisch und mitreißend darzustellen.

Schon nach wenigen Seiten steigt die Spannung auf ein hohes Level - die Autorin katapultiert mich in einen Strudel aus Vorverurteilungen, Ungereimtheiten und Lügen. Aktuelles Geschehen, eingebettete Rückblenden, wechselnde Perspektiven sowie facettenreiche Einblicke in die Gedanken und Gefühle der Akteure heizen meine Spekulationen über die Hintergründe zu Julies Verschwinden an. Ähnlich wie bei einem Kaleidoskop bekomme ich nach jedem Kapitel ein neues Bild präsentiert, habe mal den einen, mal den anderen als Täter im Visier und werde am Ende doch von den tatsächlichen Geschehnissen überrascht.

Besonders gut gelungen ist es der Autorin, mir Theos Kampf gegen das Vergessen näherzubringen. Ich konnte mit ihm mitfühlen, seine Angst, seine Wut, seinen Frust und natürlich auch seine Hoffnung spüren. Sehr deutlich wird auch, was Liv und Phil antreibt - diese Gier nach immer mehr Klicks und monatlichen Abrufzahlen lässt besonders Phil fast skrupellos agieren und dabei vergessen, welchen Schaden er im Leben anderer Menschen anrichtet.

„Himmelerdenblau“ hat mir sehr gut gefallen - ein vielschichtig angelegter Thriller, der mit unerwarteten Wendungen und einer aufwühlenden Thematik schnell einen Sog entwickelt, dem man sich als Leser nicht entziehen kann.