Genauso gut wie erhofft

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sarahbooklove Avatar

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In Romy Hausmanns neuestem Thriller steht das rätselhafte Verschwinden von Julie Novak im Zentrum einer Geschichte, die ebenso verstörend wie fesselnd ist. Seit zwanzig Jahren fehlt von der jungen Frau jede Spur – ein Schicksalsschlag, der ihre Familie tief erschüttert und zerrissen hat. Nur ihr Vater Theo hat die Hoffnung nie aufgegeben. Unermüdlich hält er an der Suche nach seiner Tochter fest – auch jetzt noch, obwohl seine Demenz bereits unübersehbar fortschreitet.

Anlässlich des erneuten Jahrestags von Julies Verschwinden tritt plötzlich die Podcasterin Liv auf den Plan. Sie behauptet, neue Hinweise zu besitzen – Spuren, die Licht ins Dunkel bringen könnten. Gemeinsam mit Theo begibt sie sich auf eine düstere Reise in die Vergangenheit, bei der bald klar wird: Die Wahrheit liegt tiefer vergraben, als es zunächst scheint. Die Ermittlungen führen nicht nur zu Julies Ex-Freund Daniel, der das Zimmer seiner verstorbenen Mutter wie ein Heiligtum versiegelt hält, sondern auch in seelische Abgründe, in denen sich Schmerz, Schuld und Verdrängung ineinander verflechten. Welche Wahrheit ist so grausam, dass sie zwei Jahrzehnte lang im Verborgenen bleiben musste?

Als langjährige Leserin von Romy Hausmann war ich besonders gespannt, ob es ihr auch diesmal gelingt, ihren charakteristischen Stil – psychologisch dicht, atmosphärisch feinfühlig und literarisch pointiert – beizubehalten. Himmelerdenblau reiht sich nahtlos in ihre bisherigen Werke ein. Hausmanns Sprache bleibt präzise und zugleich tief emotional; sie versteht es meisterhaft, verschiedene Perspektiven miteinander zu verweben und dadurch eine fast hypnotische Stimmung zu erzeugen.

Der Roman wirkt über weite Strecken weniger wie ein klassischer Thriller, sondern entfaltet sich eher als intensives, psychologisch durchdrungenes Familiendrama mit kriminellen Elementen. Im Mittelpunkt stehen die Figuren, ihre seelischen Verletzungen und inneren Konflikte. Besonders berührt hat mich die Darstellung von Theos schleichendem Gedächtnisverlust – eine erschütternde Metapher für das Verschwinden seiner Tochter und die Ungewissheit, die ihn seit Jahren zermürbt.

Allerdings hätte der erste Teil des Buches für meinen Geschmack etwas mehr Tempo vertragen. Der Spannungsbogen entwickelt sich zunächst sehr langsam – was zwar zur atmosphärischen Dichte beiträgt, aber ein gewisses Maß an Geduld erfordert. Doch ab der Mitte gewinnt die Geschichte deutlich an Dynamik, und ich konnte das Buch kaum noch aus der Hand legen. Die zweite Hälfte habe ich regelrecht verschlungen.

Besonders beeindruckt hat mich einmal mehr die psychologische Tiefe der Figuren. Hausmann gelingt es wie kaum einer anderen Autorin, die Risse in der menschlichen Seele, das Unausgesprochene und Verdrängte so glaubhaft wie erschütternd zu schildern. Gerade dieser Aspekt entfaltet eine enorme Sogwirkung. Unterstützt wird dies durch mehrere unerwartete Wendungen, die der Handlung zusätzliche Tiefe und Spannung verleihen.

Nicht alle Fragen werden am Ende restlos geklärt – einige Rätsel bleiben bestehen. Für manche Leserinnen und Leser mag dies Raum zum Nachdenken bieten, mich persönlich hat das etwas unbefriedigt zurückgelassen. Ich bevorzuge es, wenn sich am Ende alle losen Fäden zusammenfügen.

Himmelerdenblau ist ein intensiver, sprachlich fein gearbeiteter Roman, der weit über das hinausgeht, was man von einem typischen Thriller erwartet. Es ist ein Buch über Verlust, Erinnerung und die dunklen Seiten menschlicher Beziehungen – erzählt mit jener literarischen Präzision, die Romy Hausmanns Werk so besonders macht. Wer psychologische Spannung mit emotionalem Tiefgang sucht, wird in diesem Roman zweifellos fündig.