Spannend, bedrückend und tiefgründig

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carola1475 Avatar

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Als sich das spurlose Verschwinden von Julie Novak zum 20. Mal jährt, nimmt die Podcasterin Liv Keller Kontakt zu Julies Vater Theo auf, sie würde ihn gern interviewen und den Fall wieder ins Zentrum des öffentlichen Interesses rücken. Theo leidet an Demenz und die Zusammenarbeit gestaltet sich sehr schwierig. Je mehr Liv zum Verschwinden der damals 16jährigen Julie recherchiert, um so entschlossener versucht sie, den Fall aufzuklären.

Erzählt wird abwechselnd aus mehreren, überwiegend Ich-Perspektiven, wobei mich Theos Sicht sehr berührt hat, ich finde seine Erinnerungslücken und falschen Erinnerungen, die Suche nach Worten, seine Selbstbeobachtung, Verzweiflung und die Angst, seine verstorbene Frau und Julie zu vergessen, eigentlich alle Begleiterscheinungen seiner Demenz, sehr realitätsnah beschrieben, Romy Hausmann hat hier gründlich recherchiert und stellt den Demenzkranken überzeugend dar. Auch die anderen Charaktere sind gut ausgearbeitet und erscheinen authentisch. Es gelingt der Autorin, die psychischen Folgen eines so gravierenden Ereignisses wie das Verschwinden eines Kindes für alle Beteiligten psychologisch glaubwürdig darzustellen.
Romy Hausmanns Schreibstil ist fesselnd, wortgewandt und distanziert, weckt durch seine Genauigkeit dennoch Emotionen. Für mich war 'Himmelerdenblau' ein sehr intensives Leseerlebnis.
Die Autorin thematisiert neben Theos Demenz auch die Bedingungen in der Pflege und das rücksichtslose, auf Steigerung der Hörerzahlen angelegte Vorgehen von True-Crime-Podcastern, die sich der Konsequenzen für Betroffene entweder nicht bewusst sind oder denen die möglichen Folgen ihrer auch haltlosen Mutmaßungen egal sind.

Romy Hausmann lockt auf falsche Fährten, klärt Zusammenhänge erst spät und hat einen spannenden Thriller geschrieben. Ich fand manche Podcast-Kapitel, die nichts mit dem Fall der Familie Novak zu tun haben, überflüssig, sogar störend, und die Geheimnisse von zwei Charakteren werden am Ende geballt abgehandelt, was die Autorin vielleicht eleganter hätte lösen können.
Das blau-graue Cover mit dem Negativ eines Familienfotos und den verlaufenden Farben passt sehr gut zur atmosphärisch bedrückenden Geschichte.
Der tiefgründige Thriller hat mir gut gefallen, ich vergebe 4,5 Sterne.