Nur ein weiteres Zukunftsbuch? – Nein, ein geniales, besonderes!

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Warum dieses Buch nicht mehr gehypt wird, ist für mich fraglich. Hillenbrand hat mit Hologrammatica meiner Meinung nach eines der spannendsten SciFi-Bücher der letzten Jahre geschrieben – warum das so ist, möchte ich im Folgenden erläutern:

Wir befinden uns im Jahr 2088. Die Technik ist enorm fortgeschritten, Hologramme verschönern alte, marode Innenstädte, lassen Wohnungen schöner wirken und schaffen es auch, Falten, Pickel und schiefe Zähne verschwinden zu lassen – ja sogar, falsche Gesichter wie Masken aufzusetzen – dies muss man dann allerdings kennzeichnen, damit jeder andere weiß, dass es sich um ein Hologramm handelt. Menschen sind desweiteren mittlerweile in der Lage, ihre Gehirne downzuloaden und in andere Körper hochzuladen. Je nach Reichtum ist es somit möglich, so auszusehen, wie man will – ob Mann oder Frau und das alles sogar ohne Kennzeichnung. Einige Einschränkungen haben diese Systeme dennoch und alle Sicherheitslücken sind auch noch nicht geklärt. Computerexpertin Juliette Perotte beschäftigte sich mit eben diesen Systemen, bis sie spurlos verschwand. Der Leser begleitet den Privatermittler Galahad Singh und während er Stück für Stück das Puzzle zusammensetzt, welches sich aus den einzelnen Anhaltspunkten, die er findet ergibt, begibt er sich selbst unbewusst in Gefahr und lernt selbst noch etwas über weiterentwickelte Technologien und die dunklen Seiten der Menschen, die sich bei solchen Technologien geradezu parallel entwickeln.

Der Leser wird zu Anfang des Buches mit einer Vielzahl an futuristischen Dingen, Begriffen & Konzepten; sowie mit kurz eingeschobenen Informationen über politische und natürliche Ereignisse in der Vergangenheit bombardiert; die erst nach und nach erklärt und in den Gesamtzusammenhang gesetzt werden. So kann es vorkommen, dass erst mehrere 100 Seiten später ein Begriff oder eine Technologie erklärt und deren Ursprung beschrieben wird, mit der der Leser kontinuierlich seit der ersten Seite konfrontiert wird. Dies hat für mich den Lesefluss am Anfang etwas beschwerlich gemacht, denn man muss viele Informationen behalten, bis sie dann erklärt werden.

Was für mich deswegen anfangs wie eine wahllose Ansammlung an Konzepten & Ideen gewirkt hat, nimmt dann im Laufe der Handlung immer mehr Gestalt an und zeigt, wie perfekt das alles ins Gesamtbild der Gesellschaft der Zukunft passt, die der Autor hier geschaffen hat. Zudem ist es eine interessante Art des Plot-Development, den Leser einfach so zu behandeln, als müsste er von allen Entwicklungen bis zum Jahr 2088 wie selbstverständlich wissen und erst, wenn es für den personalen Erzähler in seinen persönlichen Schlussfolgerungen in einigen Situationen wichtig ist, berichtet dieser wie nebenbei, woher Technologien bzw. gesellschaftliche Veränderungen kommen. Der Plot ist auch deswegen unglaublich geschickt aufgebaut, weil alles – wirklich alles – zunächst unauffällig und wenig bedeutsam erscheint, aber im Gesamtkonzept am Ende große Bedeutung hat –ein genaues, aufmerksames Lesen lohnt sich also im Besonderen.
Auch der Hauptcharakter, der auf den ersten 60 Seiten eher ungewöhnlich, seltsam und (vermutlich deswegen) leicht unsympathisch wirkt, zeigt im Laufe der Handlung mehr Facetten und auch seine Vergangenheit wird mehr und mehr aufgedeckt, was ihn sympathischer werden lässt. Die sexuellen Anspielungen, die das Buch am Anfang enthält, muss man wohl einfach akzeptieren, zumindest sind sie nicht zu viele und nicht zu sehr detailliert (die Zielgruppe sind hier aber auch sicherlich Erwachsene, von daher ist das so in Ordnung) und letztendlich sind die involvierten Personen auch ziemlich entscheidend für den Plot.

Die Handlung an sich geht erst langsam voran, besonders durch die oben erwähnten vielen unbekannten Begriffe, nimmt dann aber richtig an Fahrt auf und hält sich konstant auf einem hohen Level und das bis zum Ende. Als Leser kann man selbst die Komplexität des Verschwindens nicht durchschauen und auch Galahad Singh erfährt von ihm noch unbekannten Erfindungen oder Tendenzen von Menschengruppen erst im Verlauf des Buches. Insgesamt ist der gesamte Fall viel komplexer, als ihn der Klappentext oder meine kurze Zusammenfassung oben schildern können – aber deswegen hat das Buch auch über 550 Seiten – und diese werden in idealster Weise genutzt. Einen so gleichbleibend hoher Spannungsbogen habe ich bisher selten in einem Buch erlebt.

Ich kann dieses Buch jedem Leser empfehlen, für den Zukunftsbücher nicht zwangsweise im Weltall spielen müssen und der sich einlassen möchte auf die komplexe Welt, die Hillenbrand in Hologrammatica schafft. Trotz des schwierigen Einstiegs bleibt die Handlung durchweg spannend, eröffnet moralische Dilemma und spannende Ideen rund um Technologie, wie sie in der Zukunft existieren könnte – oder es eben zumindest im fiktiven Hologrammatica tut.