Ein Arm, ein Eid, ein Erwachen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
lulia Avatar

Von

Die ersten Kapitel von House of the Beast sind wie der Beginn eines Rituals, bei dem man nicht nur zusieht sondern selbst gebunden wird. Michelle Wong entfaltet ihre Geschichte nicht mit Pomp sondern mit stiller Intensität. Sie beginnt nicht mit Erklärungen sondern mit einem Schnitt und einem Opfer, dem dies nicht nur Fleisch kostet sondern Herkunft, Stolz und Sicherheit.
Wir begegnen Alma, unehelich, verstoßen und einsam in einem Moment, der alles verändert: dem drohenden Tod ihrer Mutter und dem verzweifelten Griff nach einer Wahrheit, die besser verborgen geblieben wäre. Sie tritt nicht in eine Welt der Magie ein sondern sie wird hineingestoßen.
Die Zeremonie, in der Alma ihren linken Arm opfert ist nicht nur körperlich brutal sondern seelisch verstörend. Es ist nicht nur ein körperlicher Akt sondern ein metaphysischer Bruch. Sie bindet sich an die Schreckensbestie, einen Gott, der in der Gestalt eines Prinzen mit sternenklarem Haar erscheint und nur für sie sichtbar ist. Diese Verbindung ist nicht romantisch sondern existenziell. Ein Pakt, der mehr nimmt als gibt. Die Schreckensbestie selbst bleibt ambivalent: verführerisch aber unheimlich. Er spricht in Rätseln und verspricht Veränderung aber man spürt, dass seine Ziele nicht deckungsgleich mit Almas sind. Er ist kein klassischer Love Interest. Er ist ein Gott. Ein Wesen aus Sternenlicht und Schatten, das Alma nicht liebt sondern beansprucht. Und doch entsteht eine seltsame Nähe: nicht romantisch sondern existenziell. Er spricht in Rätseln, erscheint in Träumen, und Alma beginnt zu ahnen: Vielleicht ist er nicht ihr Feind. Aber ganz sicher ist er nicht ihr Freund.
Die aristokratische Welt, in die Alma gezwungen wird, ist wie ein goldener Käfig mit Dornen. Die Verwandten sind höflich wie Messer. Die Räume sind prachtvoll wie Gräber. Die Welt in der Alma nun lebt ist durchzogen von aristokratischer Kälte und göttlicher Macht. Das Haus Avera, eines der vier adligen Häuser, wirkt wie ein verfluchter Tempel: prachtvoll aber vergiftet. Die Götter, denen diese Familien dienen, sind keine freundlichen Wesen sondern sie sind uralt, fordernd und in Almas Fall: furchterregend schön. Alma wird schnell zur Spielfigur in einem Spiel, dessen Regeln sie erst lernen muss.
Die ersten Seiten kreisen um Verlust, Macht und Identität.
Die Protagonistin Alma ist keine klassische Heldin. Sie ist wütend, verletzlich und von Anfang an bereit alles zu riskieren. Ihre Gedanken sind scharf aber von Trauer durchzogen. Die Beziehung zu ihrer Mutter ist zärtlich und tragisch. Ein stiller Kontrast zur brutalen Welt, in die sie gestoßen wird.
Der Ton ist düster aber nicht hoffnungslos. Wong schreibt mit einer Mischung aus sinnlicher Bildsprache und psychologischer Tiefe. Ihre Sprache ist klar, aber voller Symbolik. Wie ein Gedicht, das sich nicht reimt aber trotzdem wirkt.
Die ersten Seiten von House of the Beast sind wie ein blutiges Märchen, das sich weigert gut zu enden.Wie ein dunkler Spiegel, der nicht nur zeigt wer du bist sondern wer du werden könntest, wenn du alles verlierst. Alma ist keine Heldin oder Retterin. Sie ist eine Überlebende, eine Suchende und eine Kämpferin. Eine Trägerin von etwas Altem, das sich durch sie neu formt. Eine Tochter, die alles verloren hat und nun beginnt sich selbst zu finden. Mit einem Gott an ihrer Seite, der vielleicht ihr Verbündeter ist. Oder ihr Untergang. Und wer sich auf diesen Anfang einlässt, spürt: Dies ist keine Geschichte über Magie. Es ist eine Geschichte über Macht und was sie mit einem macht.
Toll sind auch die Bilder auf den Seiten, die die mystische Atmosphäre des Buches noch verstärken.