Düstere, bildgewaltige Fantasy statt Romantasy-Kitsch

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teresa19 Avatar

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Michelle Wongs House of the Beast ist eine jener seltenen Überraschungen, die beweisen, wie trügerisch Cover und Marketing sein können. Wo man nach dem deutschen Klappentext und der Aufmachung eine klassische Romantasy-Story mit "Enemies to lovers"-Trope und hübschem Weltenbau erwartet, bekommt man stattdessen etwas viel Wuchtigeres: ein düsteres, atmosphärisch dichtes Fantasy-Epos mit Horror-Anklängen, schmerzhaften Emotionen und erstaunlicher erzählerischer Reife.
Im Zentrum steht Alma, ein uneheliches Kind, das zwischen göttlichen Mächten, politischen Intrigen und ihrem eigenen Verlangen nach Rache zerrieben wird. Als ihre Mutter stirbt, verkauft Alma buchstäblich einen Teil von sich, um zu überleben und bindet sich an ein uraltes Wesen, das zwischen Schutz und Verdammnis schwankt. Wongs Erzählung ist kompromisslos: Sie führt durch rohe Gewalt, religiöse Rituale und moralische Grauzonen, ohne die Figuren oder Lesenden zu schonen.
Sprachlich überzeugt der Roman durch eine beeindruckende Balance aus Klarheit und poetischer Wucht. Die Welt ist komplex, düster und faszinierend, keine bloße Kulisse, sondern ein lebendiges System aus Macht, Glauben und Angst. Wongs Erfahrung als Illustratorin (bekannt durch The Legend of Korra) merkt man jeder Seite an: Ihre Beschreibungen sind visuell stark, ihre beiliegenden Zeichnungen stimmungsvoll und präzise. Jede Szene wirkt durchkomponiert, jede Figur hat Kontur.
Doch trotz all dieser Stärken ist House of the Beast kein einfaches Buch. Der Einstieg ist sperrig, die Handlung entfaltet sich langsam, und wer leichte Unterhaltung sucht, wird hier wenig Freude finden. Die Erzählung verlangt Aufmerksamkeit und emotionale Belastbarkeit und belohnt beides mit Tiefe und Eindringlichkeit. Manche Nebenfiguren bleiben trotz des Umfangs etwas unterbeleuchtet, was im Kontrast zur dichten Charakterarbeit der Protagonistin auffällt. Auch das Marketing tut dem Buch keinen Gefallen und wird bei falschen Erwartungen für Enttäuschung sorgen.
Die wenigen romantischen Momente sind vielmehr psychologisch aufgeladen als gefühlvoll; sie erzählen von Abhängigkeit, Schmerz und Heilung. Das „Biest“ ist kein romantischer Retter, sondern ein Spiegel für Almas eigene Dunkelheit. Diese Ambivalenz macht die Geschichte stark, aber eben auch unbequem.