Bin ich wirklich noch ich ?

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phoenix84 Avatar

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Die Autorin Lottie Moggach kreiert mit diesem Werk einen zumeist interessanten Roman um hauptsächlich zwei Themenfelder: zum einen Sterbehilfe - Wie weit würde man gehen, um einem kranken Menschen zu helfen? - zum anderen die Übernahme einer fremden Identität im Internet - Wie glaubwürdig kann man den anderen etwas vormachen, ohne dass sie es merken?

Zwei Hauptpersonen führen den Leser in eine Welt voller Schein statt Sein :
Auf der einen Seite haben wir die manisch-depressive Tess, die ihr Leben mit der Krankheit nicht mehr erträgt und selbstbestimmt sterben will.
Dazu benötigt sie die Hilfe von Leila, womit wir zu der zweiten Hauptprotagonistin kommen, aus deren Sicht dann auch die Geschichte erzählt wird.
Leila wurde in der Schule von ihren Mitschülern eher ausgegrenzt, da sie - anders als die Mädchen in ihrem Alter - sehr rational denkt und deren Hype um Parties, Klamotten,
Facebook und dergleichen nicht nachvollziehen kann. Nach dem Tod ihrer MS-kranken Mutter zieht sie sich komplett aus der realen Welt zurück und " lebt " im Internet.Über ein
Philosophie-Forum lernt sie Adrian kennen, der sie bittet Tess` Identität anzunehmen, damit letztere in aller Ruhe ihren Suizid planen und " auschecken " kann.
Für die rationale Leila erscheint es nur logisch, ihre Hilfe anzubieten und unversehens driftet sie mehr und mehr in Tess` Welt ab und läuft Gefahr sich selbst zu verlieren oder
die erschaffene Fake- Identität, die sie in manch einer Situation nur schwer aufrecht erhalten kann.

Man muss sich zu Beginn des Buches etwas daran gewöhnen, dass Leila zweierlei Handlungsstränge verknüpft und die Geschichte sowohl im Jetzt als auch rückblickend erzählt.
Davon abgesehen findet man sich gut im Erzählstrang zurecht.
Die Thematik ist bis auf ein paar kleine Längen recht spannend dargelegt : der Leser bleibt nach dem eher offenen Ende nicht nur mit der Frage zuück, wie weit man im Falle der Sterbehilfe
gehen würde, sondern auch welche Auswirkungen die Isolation von der wahren Welt durch das Internet hat. Die stärksten Momente hat das Buch, wenn Leila, die sich selbst als rational-
kontrollierten Menschen wahrnimmt, nicht mehr weiß, ob sie noch sie selbst oder ihr neu erschaffener Charakter ist- eine Mischung aus Leila & Tess. Ohne es zunächst zu wissen, wird sie getrieben von dem Wunsch, auch ein Jemand außerhalb des World Wide Web zu sein und Anerkennung und Zuneigung durch andere, reale Menschen zu erfahren. Sie ist in Wahrheit naiv und glaubt tatsächlich die Sache ohne Emotionen und Komplikationen durchziehen zu können.

Auch wenn Leila kein Charakter ist, der einem sonderlich schnell ans Herz wächst, ist ihre Reise und ihre Entwicklung über weite Strecken spannend und stimmt nachdenklich. Mir ist das Buch auf jeden Fall eine Leseempfehlung wert.