Die Geschichte eines Dorfes in Südtirol wird lebendig

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mrs-lucky Avatar

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Bei Urlaubsfahrten nach Südtirol bietet der aus dem Reschensee aufragende Kirchturm ein markantes und nachhaltiges Bild, so dass das Cover des Romans „Ich bleibe hier“ schnell meine Blicke auf sich gezogen hat. Während mehrerer Aufenthalte in der Region bin ich häufiger auf Spuren der schicksalhaften Geschichte der Region gestoßen, so dass der Roman meine Neugierde geweckt hat.
Schwerpunkt der Erzählung ist die Zeit zwischen 1939 und 1943, er setzt jedoch schon ein paar Jahre früher an in der Jugend der Erzählerin Trina, die in Rückblicken ihre persönliche Geschichte zu Papier bringt. Sie richtet sich mit ihren Worten und Gedanken an ihre Tochter und versucht dieser die Lebensumstände der damaligen Zeit nahe zu bringen und den Verlauf ihrer Lebensgeschichte zu erzählen. Trinas Erzählung wirkt oft sehr reserviert und schroff, dennoch berührt ihre Geschichte.
Die unbeschwert wirkende Jugend Trinas und ihrer Freundinnen findet ein jähes Ende, als mit der Machtausweitung der Faschisten unter Mussolini ihre Träume von einer Arbeit als Lehrerinnen zerstört werden. Die Region soll Italienisiert werden, in den Schulen wird nur noch Italienisch unterrichtet, Straßen- und Ortsnamen werden ins Italienische übersetzt, eine gezielte Neuansiedelung italiensicher Bewohner soll die traditionell deutschsprachige Bevölkerung in die Minderheit drängen. Widerstand wird zunehmend gewalttätig geahndet, so dass sich Trina in Lebensgefahr begibt, als sie mithilft, im Untergrund die Kinder der Region in deutscher Sprache zu unterrichten. Gemeinsam mit ihrem Mann Erich bleibt Trina ihrer Heimat in wechselnden Machtverhältnissen treu, sie übersteht schicksalhafte Zeiten, nicht zuletzt der zweite Weltkrieg stellt für die Bevölkerung Norditaliens eine harte Probe dar. Auch die Pläne und Arbeiten zum Bau eines Staudamms, die bereits seit den 1920er Jahren die Region mit großflächigen Überschwemmungen bedrohen, sorgen nach Ende des Krieges für neue Unruhen.
Marco Balzano versteht es, mit einer schnörkellosen und gleichzeitig sehr präzisen und eindringlichen Sprache den Leser an dem oft entbehrungsreichen und durch wechselnde politische Einflüsse geprägten Leben der Bewohner dieser Region teilhaben zu lassen. Er fängt ihr Wechselspiel der Gefühle ein zwischen Resignation, Ohnmacht und erbitterter Wut. Vieles dreht sich in dem Roman um Entscheidungen, die den Lebensweg prägen und um die Optionen, die den Menschen trotz aller Unterdrückung bleiben.
Der Roman hat mich ausgesprochen beeindruckt und mein Verständnis wachsen lassen für den gelebten Stolz in der Region und ihr Bestreben für Unabhängigkeit.