Wenn Politik und Ökonomie mehr zählen als der Mensch

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buecherfan.wit Avatar

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Vor dem Hintergrund der wechselvollen Geschichte Südtirols, das erst den Faschismus und gleich danach die Naziherrschaft erlebte, erzählt Marco Balzano in seinem Roman “Ich bleibe hier“ von einer Familie aus dem Bergdorf Graun im Vinschgau in Südtirol. Trina und Erich leben dort auf ihrem Hof mit ihren Tieren. Trina hatte ursprünglich gehofft, als Lehrerin arbeiten zu können, aber dann siedelt Mussolini eine große Zahl von Italienern in die deutschsprachige, von Italien annektierte Region um, und Deutsch wird zu einer verbotenen Sprache. Trina kann nur noch heimlich in Katakombenschulen unterrichten – ein gefährliches Unterfangen. Dann schließen Hitler und Mussolini den „Große Option“ genannten Vertrag, nach dem die deutschsprachigen Südtiroler entweder ins Deutsche Reich auswandern oder Diskriminierung und Repressalien durch die Faschisten in Kauf nehmen müssen. Auch Trinas und Erichs Familie wird durch die politischen Verhältnisse auseinandergerissen.Trina und Erich bleiben und organisieren in der Folge auch den Widerstand gegen den geplanten Bau eines Staudamms in ihrem Tal. Nur wenige sind bereit zu kämpfen, zumal das Staudammprojekt über einen langen Zeitraum immer wieder ins Gespräch gebracht, aber nie verwirklicht wurde. Ein Energiekonzern, der den Bau mit Schweizer Millionen um jeden Preis durchsetzen will, informiert die Bevölkerung schlecht oder gar nicht und setzt sich durch. Die Bauern verlieren ihre Heimat und Existenzgrundlage und werden mit einem lächerlichen Betrag abgespeist. 163 Häuser werden dem Erdboden gleich gemacht, und 523 Hektar fruchtbares Ackerland für immer vernichtet.
Der Autor hat eine bewegende, gut recherchierte Geschichte über zum Teil wenig bekannte Ereignisse geschrieben, die den Leser angesichts der Zerstörung der Natur und der Unterordnung des Menschen unter politisch-ökonomische Interessen traurig macht. Es ist nicht angemessen, begeistert den aus dem See ragenden Kirchturm von Graun zu fotografieren und den Machtmissbrauch und die Brutalität gegenüber den Menschen – nicht zu vergessen die zahlreichen Opfer der Baumaßnahme selbst – zu ignorieren. Der Roman hat mich sehr beeindruckt.