Midlife crisis

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buecherfan.wit Avatar

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Es gibt wieder technische Probleme - kein Formular. Deshalb mache ich es so. 5 Sterne.

Die Leseprobe beginnt mit einer Art Prolog. Die vier Protagonisten Martha, Betty, Jon und Henning sind mit dem Auto zu einem unbekannten Ziel unterwegs, Jon und Henning "angeblich schwer verwundet", jedenfalls blutverschmiert. Erklärt werden die Umstände an dieser Stelle nicht. Im folgenden erleben wir die Vier in Alltagssituationen, die zeigen, dass sie alle in der Krise stecken, alle Loser sind, die ihre beste Zeit schon hinter sich haben, obwohl sie erst Mitte bis Ende 30 sind. Betty ist Scriptgirl, trinkt zu viel, lässt sich immer wieder mit den falschen Männern ein und liebt gerade mal wieder einen älteren verheirateten Mann, der sie verlässt. Sie ist psychisch und physisch am Ende, hat Gedächtnisstörungen, leidet unter so starken Schmerzen, dass sie kaum noch laufen kann und hat am Schluss einen Zusammenbruch. Jon ist ein erfolgloser Schauspieler, der seit 15 Jahren auf Ruhm und Erfolg wartet und sich gerade einmal wieder auf ein Casting vorbereitet, aber außer seiner Attraktivität scheint er nicht viel zu bieten zu haben. Sein Freund Henning wird als unterbezahlter Comiczeichner ausgenutzt und schafft es nicht, ein eigenes Buch bei einem Verlag unterzubringen. Er liebt  seit 10 Jahren Martha, die ihn jedes Jahr verlässt, aber bisher immer wieder zurückgekommen ist. Martha stellt  häufig ihre Beziehung zu Henning in Frage, ist sich im unklaren über ihren Kinderwunsch und erfährt bei ihrer jüngsten Polenreise, dass sie schwanger ist.

Erzählt wird aus ständig wechselnder Perspektive in vielen kurzen Abschnitten. Der Leser erhält Einblick in die Gedanken und Gefühle der vier Protagonisten. Es ist kein Problem zu verstehen, von wem die Rede ist. Mir hat die Leseprobe sehr gut gefallen. Es ist für mich  der  seit langer Zeit sprachlich-stilistisch beste Ausschnitt aus einem deutschsprachigen Roman. Lucy Fricke findet prägnante, witzige und häufig sehr originelle Formulierungen, wenn sie Ereignisse oder Befindlichkeiten ihrer Figuren beschreibt. ("Es gab in einer Krisie absolut nichts Besseres, als Freunde zu besuchen, denen es richtig mies ging." oder "... mit vierzig gehen Sie am Stock, hatte der Ergotherapeut gesagt, und: Mir doch egal, hatte sie geantwortet, mit vierzig will ich sowieso nur noch sitzen. Gibt ja auch schicke Gehwagen heutzutage, kann man die Alditüten so hübsch dran baumeln lassen.") Auch ihre Bildersprache ist originell, zum Beispiel in Marthas Gedanken über das Polnische ("'Die Sprache ein zischender Teppich, mit ungekämmten Fransen an den Enden.") oder wenn sie sich wünscht, so schnell wie möglich zu Henning zurückzukehren ("Verdammtes Polen, dachte sie, hatte ihr das Hirn eingehäkelt wie eine Klorolle.").  

Der Leser möchte wissen, wie es mit den vier Freunden weitergeht, denn das wird es. Das hat auch Betty verstanden, wenn sie für sich formuliert: "Und was sollte sie schon machen, außer immer weiter."