Auf der Suche nach verlorener Verbundenheit

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Von

„Menschen sind erst da, sind Teil von dir, und dann sind sie es nicht mehr. Viel mehr passiert in einem Leben nicht. Was ist ein Leben wert, wenn niemand sich mit dir erinnert? Wenn niemand sich mit dir an deinen Schulweg erinnert, an deine erste Liebe, an die Menschen, die dich gemacht haben, erinnert. Was ist ein Leben wert, wenn du die Einzige bist, die sich über Fotos beugt und denkt - damals.“ (Seite 32)
Diese tiefgründigen Überlegungen zur Vergänglichkeit und Erinnerung ziehen sich wie ein roter Faden durch Rasha Khayats Roman Ich komme nicht zurück. Die Autorin, geboren 1978 in Dortmund und aufgewachsen in Jeddah, Saudi-Arabien, bringt ihre vielfältigen Erfahrungen in diesem Werk zum Ausdruck. Sie studierte Vergleichende Literaturwissenschaften und Germanistik und hat sich seit 2005 als freie Autorin einen Namen gemacht. Mit ihrem Debütroman und zahlreichen Auszeichnungen zeigt sie sich als starke Stimme in der deutschsprachigen Literatur.

Worum geht's?

Im Zentrum des Romans stehen die Freundschaften zwischen Hanna, Zeyna und Cem, die in den späten 1980er Jahren in einer Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet aufwachsen. Ihre Verbindung, geprägt von unbeschwertem Kinderspiel und gegenseitiger Unterstützung, wird jedoch durch die gesellschaftlichen Spannungen und Vorurteile nach dem 11. September 2001 auf die Probe gestellt. Während sich die Unterschiede zwischen den Charakteren zunehmend verdeutlichen, bricht die langjährige Freundschaft zwischen Hanna und Zeyna auseinander. Jahre später kehrt Hanna in ihre alte Heimat zurück und begibt sich auf eine emotionale Reise, um Zeyna zu finden und die Gründe für das Zerbrechen ihrer Freundschaft zu ergründen.

Meine Meinug

Die ersten Eindrücke, die das Buch vermittelt, sind durch das Cover geprägt, das mir zunächst nichts über die Handlung verrät. Im Nachhinein interpretiere ich die Auswahl der Farben als eine subtile Hommage an die drei Protagonisten: Hanna, Zeyna und Cem. Ich war neugierig, da ich bisher kein Buch von Rasha Khayat gelesen hatte, doch die bildhafte und poetische Sprache fesselte mich sofort. Das Buch ist nicht laut oder übertrieben dramatisch, sondern entfaltet seine Kraft auf eine subtile Weise.

Die abwechselnde Erzählweise zwischen Gegenwart und Rückblenden hat mir gut gefallen, da sie die Komplexität der Freundschaften und die sich verändernden Beziehungen der Charaktere anschaulich darstellt. Die behandelten Themen sind vielfältig und relevant: Klassismus, Einsamkeit, Verlust, Rassismus und Identität sind nur einige der Fragen, die in diesem Roman behandelt werden. Besonders angetrieben von der Frage, was zwischen Hanna und Zeyna geschehen ist, war ich gespannt auf die Auflösung. Leider fand ich die Erklärung zum Bruch zwischen den beiden Freundinnen am Ende etwas schwach. Obwohl die letzte Enthüllung einige Überraschungen bereithielt, kam mir die Entwicklung zu abrupt und hätte meiner Meinung nach mehr Raum für eine tiefere Auseinandersetzung verdient.

Einige kraftvolle Sätze, die Khayat auch von anderen Autor:innen übernommen hat, laden zum Nachdenken ein. Phrasen wie „Jeder Tod, selbst einer, auf den man gefasst ist, ist der erste Tod.“ (Seite 48) und „Nacht funktioniert wie Schnee. Löscht Landschaft aus.“ (Seite 32) hinterlassen bleibende Eindrücke und lassen Raum für eigene Interpretationen. Während ich emotional gepackt war, hielt mich das Buch zugleich auf einer gewissen Distanz. Am eindrücklichsten fand ich den Kontrast zwischen der kindlichen Unschuld und dem Ernst des Lebens, der sich mit dem 11. September manifestiert. Die gesellschaftlichen Unterschiede und Vorurteile, die vorher nicht so offensichtlich waren, treten plötzlich zwischen die drei Freundschaften und führen zu einem schmerzlichen Auseinanderdriften.

Die Wahl der Du-Perspektive war für mich geschmacklich ein interessantes Experiment, das ich mochte. Die poetischen Passagen, die gekonnt im Text eingestreut wurden, trugen zur emotionalen Tiefe des Romans bei, ohne überhandzunehmen.

Fazit

"Ich komme nicht zurück" ist ein einfühlsamer Roman, der die Komplexität von Freundschaften und Identität in einer sich verändernden Welt thematisiert. Rasha Khayat gelingt es, wichtige gesellschaftliche Themen mit einer poetischen Sprache zu verbinden, auch wenn die Auflösung der zentralen Konflikte für mich etwas hastig erschien. Insgesamt hat mich das Buch in seinen Bann gezogen, weshalb ich 4 von 5 Sternen vergebe.