Was eine Freundschaft ausmacht

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christian1977 Avatar

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Deutschland, im Jahre 2020: Hanna befindet sich in einer Midlife-Crisis. Neben ihrer alltäglichen Einsamkeit drückt ihr vor allem die Corona-Krise aufs Gemüt. Seit einigen Tagen spielt nun auch noch der Verstand verrückt. Bei jeder Gelegenheit sieht sie eine Frau mit dunklen, kurzen Haaren, die ihrer Kindheitsfreundin Zeyna wie aus dem Gesicht geschnitten scheint. Doch zu Zeyna hat sie seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr. Was ist damals eigentlich vorgefallen, das die jahrelange unerschütterliche Freundschaft zwischen den beiden Mädchen und Cem ins Wanken gebracht hat? Hanna erinnert sich und taucht tief ein in die Bochumer Kindheit der 1980er-Jahre...

"Ich komme nicht zurück" ist der zweite Roman von Rasha Khayat, der bei Dumont erschienen ist. Ein Corona-Roman im Jahre 2024? Möchte man über das Thema eigentlich noch etwas lesen? Ja, denn das Buch behandelt neben Corona auch noch andere gesellschaftlich zentrale Ereignisse, wie beispielsweise den 11. September und die Kindheit von Migrant:innen in den 1980er-Jahren. Zudem ist die Sprache ohnehin ein Ereignis. Auf jeden Fall ist es ein Wagnis, das Khayat eingeht, denn für einige Leser:innen mag die - dringend benötigte - kulturelle Aufarbeitung der Krise noch ein wenig zu früh kommen.

Wobei Khayat ohnehin von Beginn an ihr Selbstbewusstsein deutlich macht, das sich auf den Roman und dessen Sprache unmittelbar überträgt. Wo andere Autor:innen in der Widmung weit ausholen, begnügt sich Rasha Khayat mit einem koketten "Für: Mich." Sympathisch und ehrlich!

Das große Plus von "Ich komme nicht zurück" sind in jedem Fall Sprache und Atmosphäre. Khayat wirft die Leser:innen unmittelbar hinein in Hannas Einsamkeit. Der gesamte Text verströmt eine fast schmerzhafte Melancholie, die sich nicht nur aus dem Lockdown speist, sondern auch aus der 80er-Jahre-Kindheit. Der Soundtrack der Jugend, zeitgemäß als Playlist angefügt als "Mixtape für Hanna, Zeyna und Cem", lässt einen selbst zurückblicken auf die 80er-Kindheit, als das Leben noch überwiegend unbeschwert schien. Brillant eingesetzt sind außerdem die Zitate der libanesisch-amerikanischen Schriftstellerin Etel Adnan und des palästinensischen Dichters Mahmoud Darwisch, die dem Roman eine poetische Tiefe geben.

Das Zentrum der Erzählung ist Zeyna, was Khayat durch einen gelungenen Perspektivwechsel deutlich macht. Immer, wenn es um die verlorene Freundin geht, wechselt Ich-Erzählerin Hanna ins unmittelbare Du. Problematisch daran ist, dass über weite Strecken des Buches die Tiefe der Freundschaft nur behauptet wird. Im Gegenteil hat man eher das Gefühl, als bestünde eine dauerhafte Konkurrenz im Buhlen der beiden Mädchen um die Gunst von Hannas geliebter Großmutter Felizia.

Ohnehin weist "Ich komme nicht zurück" Schwächen in der Figurenkonzeption auf. Die Großeltern Felizia und Theo sind ausschließlich herzensgut und zu süß gezeichnet. Zeyna ist die vergötterte Freundin, die erst im Rahmen der Attentate vom 11. September ein wenig an Profil gewinnt. Und Cem ist im Grunde nur eine Art Puffer zwischen den Mädchen, ein liebenswerter Junge bzw. Kerl, der niemandem weh tut.

Khayat setzt sprachlich nach einiger Zeit manchmal zu sehr auf Wiederholungen. So stellt sich Hanna in einigen Szenen beispielsweise selbst Fragen, ehe sie diese nahezu wortgleich an ihr Gegenüber richtet. Falls das für Intensität sorgen soll, erreicht es in Wahrheit eher das Gegenteil. Die Sprache von "Ich komme nicht zurück" ist stark genug, um auf solche Spielereien verzichten zu können.

Insgesamt ist "Ich komme nicht zurück" aber ein lesenswerter, melancholischer kleiner Roman, der auf seinen 170 Seiten zentrale Themen wie Freundschaft, Einsamkeit, Rassismus und Liebe auf poetische Weise zu einem gelungenen Potpourri vermischt und am Ende inhaltlich mit einer echten Überraschung aufwartet.