Ein humorvoller, warmherziger Blick auf die Menschen

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Andrew Martin, bekannter Mathematikprofessor an der Universität Cambridge, wandert nackt an einer Autobahn entlang. Genauer gesagt, sein Körper wandert, denn er selbst ist längst tot und ein außerirdisches Wesen, ein Vonnadorianer, nahm seine Gestalt an, um alle Spuren von Martins letztem mathematischen Durchbruch zu verwischen. Denn Primzahlen sind schön, doch sie vollständig zu verstehen, würde den Menschen ein vollkommen anderes Leben ermöglichen, eine grundlegende Revolution ihrer Technologie. Für dieses Schritt jedoch, so die Erkenntnis der Vonnadorianer, ist diese primitive, egoistische und zu übermäßiger Gewalt neigende Daseinsform noch längst nicht bereit. Diese Einstellung beginnt der außerirdische Andrew rasch zu hinterfragen. Denn wenn die Menschen wirklich so wären, wie kümmern sie ich dann umeinander? Wieso gibt es solche Dinge wie Sonnenuntergänge und Musik und Gedichte? Und vor allem: Liebe?

"Ich und die Menschen" ist ziemlich genau das, was man von dem Buch erwartet: eine humorvolle, mitunter auch satirische, leicht philosophische Betrachtung des Menschen und seiner Lebensweise. Zumindest der Lebensweise von Menschen mit einem gewissen Grundeinkommen und alltäglichen Problemen wie Kindererziehung, Einkaufswahn, Zeitmangel und Selbstverwirklichung. Die Handlung ist dabei recht einfach gehalten und weitestgehend vorhersehbar, doch dafür unterhält der Roman durchgehend, die Verwirrung des Protagonisten angesichts dieser von seiner eigenen vollkommen abweichenden Lebensweise wird sehr deutlich und glaubhaft gezeichnet. Auch alle weiteren Figuren, vor allem Andrews Ehefrau Isobel und sein pubertierender Sohn Gulliver, wirken authentisch, sind allerdings nicht wirklich komplex angelegt.

Meiner Meinung nach gewöhnt sich der Vonnadorianer etwas zu schnell an das menschliche Dasein. Eigentlich braucht er dafür nur einen Tag mit Andrews Hund Newton, ein paar Momente mit Isobel, etwas Musik und ein paar Gedichte von Emily Dickinson. Davon abgesehen ist es jedoch schön, ihm bei seiner Erkundung des Alltags auf der Erde zu begleiten und all seine kleinen und großen Beobachtungen zu teilen.

Matt Haig und die Übersetzerin Sophie Zeitz (die beispielsweise auch die Werke von John Green aus dem Englischen ins Deutsche überträgt) hüllen die Geschichte in eine leicht schwebende Sprache, die hervorragend zu dem Protagonisten und seiner Erfahrungswelt passt. Der Humor wirkt lakonisch und dadurch sehr pointiert, die philosophischen Betrachtungen schön bis fast poetisch.

Alles in allem ist "Ich und die Menschen" ein humorvoller, warmherziger und stellenweise melancholischer Roman mit einem interessanten Blick auf das Leben eines Teils der Menschheit. Intellektuell herausfordernd ist er dabei kaum, aber wundervoll zu lesen mit einfachen, sprachlich schön verpackten Weisheiten. Für ein paar Stunden kann man in dieser Geschichte versinken, sich gemütlich darin einrichten und ab und an auch einen Blick auf seine eigene Verhaltensweisen werfen. Eine Geschichte wie ein Traum. Wie ein kleines Märchen, das in der Gegenwart spielt.