Kreuzung aus "Kelwitts Stern" und "Arrival"

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sonnenwind Avatar

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"Ich und die Menschen" ist der Bericht eines Außerirdischen vom Planeten Vonnadoria über seinen Besuch auf der Erde. Er hat den Auftrag, die Familie eines Mathematikers auszulöschen (nachdem er selbst bereits ermordet worden ist), der sich den unglaublichen Frevel geleistet hat, eine ungelöste mathematische Frage zu Primzahlen zu beantworten. Und das ist eine Gefahr für den ganzen Kosmos.

Der erste Teil ist eindeutig Science Fiction, und nachdem das mein Leib- und Magengenre ist, hatte ich mir einiges davon versprochen. Ich liebe es, mich in fremde Welten zu verlieren und die Grenzen meiner Vorstellungskraft auszutesten. SF ist ideal, um Gesellschaftskritik zu formulieren, ohne Konkretes anzusprechen. Das ist ein Genuß, wenn nur das Niveau gewahrt wird. Schwierig wird es aber, wenn die "Science" wegfällt; damit geht auch der Spaß baden. So wie hier.

Der erste Teil des vorliegenden Romans ist offensichtlich eine Kreuzung aus Andreas Eschbachs "Kelwitts Stern" und dem Film "Arrival" mit Charlie Sheen. Es kann aber beiden Ideenlieferanten nicht das Wasser reichen.

Schon in der Leseprobe hatte ich meine Schwierigkeiten, S. 18: "... wenn man nie etwas anderes als flüssigen Stickstoff getrunken hatte." Wie? Nachdem Stickstoff bei um die -200°C flüssig ist, muß es in der Heimat dieses Wesens ja mächtig kalt sein! Und angesichts der Tatsache, daß bei -273,15° der absolute Nullpunkt erreicht ist, bei dem sich kein Atom mehr bewegt, sollte man davon ausgehen können, daß sich dieses Lebewesen in seiner natürlichen Umgebung so gut wie gar nicht bewegt. Stofflich muß es aber sein, sonst könnte es nichts Stoffliches trinken. Wird durch diese kleine Anmerkung deutlich, daß bei diesem "Science Fiction"-Buch die "Science" entfallen ist?

Auch die "Fiction" ist mehr als billig. Im Wesentlichen kommen die Betrachtungen unseres namenlosen Protagonisten vom Planeten Vonnadoria immer wieder auf dieselben Punkte zurück:
1. Die Menschen sind unnatürlich häßlich.
2. Die Nase ist besonders häßlich.
3. Sich zu bekleiden, ist ein Unsinn (obwohl er selbst in einen kalten Regen gerät und sich dabei gar nicht wohlfühlt).
4. Der Mensch ist sexuell verklemmt. Zu diesem Punkt muß man sagen, daß der Autor offensichtlich Probleme mit seiner eigenen Sexualität hat, denn die schiere Menge der Bemerkungen zum Thema ist doch zu auffällig.

Wenn nicht diese irrwitzigen Axiome überall auftauchten und das Ganze sachlich behandelt wäre, könnte man dem eventuell noch einiges abgewinnen, aber so? Später assimiliert sich der Außerirdische auf eine Weise, die ziemlich aus der Luft gegriffen ist.

Das Wissen des Protagonisten über die Erde ist in keiner Weise schlüssig. In der einen Hinsicht weiß er eine Menge, in der anderen gar nichts. Und selbst das ist nicht beständig. Man hat den Eindruck, der Autor wußte nicht, was er eigentlich aussagen wollte und war sich der Gestaltung seiner Hauptperson nicht sicher.

Den Vergleich mit "Kelwitts Stern" muß sich das Buch gefallen lassen, und es schneidet dabei mehr als schimpflich ab. Wo Kelwitt als Außerirdischer in der Schwäbischen Alb landet und dort alle möglichen logisch schlüssigen "Unfälle" produziert, die den Leser von einem Lachanfall in den nächsten treiben und nebenbei wie ein neugieriges Kind höchst erfrischende Ansichten über die Menschen äußert, hat man hier nur den Eindruck einer unerträglichen Überheblichkeit, die sich aber so gut wie ausschließlich darauf begründet, daß es in der Heimat des Protagonisten Bücher gibt, die man wie Tabletten schlucken kann. Und selbst dieses Problem ist im ersten Band der Ren Dhark-Serie ("Sternendschungel Galaxis" von Kurt Brand) wesentlich virtuoser gelöst.

Der zweite Teil dann ist völlig anders. Man liest ein Buch über Philosophie, und die kann man mögen oder auch nicht. Ich mag sie nicht, habe mich also zunehmend durch das Buch gequält. Einzelne Zitate sind recht nett, dringen aber nie zum Kern der Sache vor. Einen Schritt vor der logischen Schlußfolgerung macht der Autor eine Kehrtwende und bricht seine Gedankengänge ab. Die Basis des Buches scheint ein Zitat von Albert Einstein zu sein: "Technischer Fortschritt ist wie eine Axt in den Händen eines pathologischen Kriminellen." Einstein schätze ich sehr, aber ich kann mir kaum vorstellen, daß er eine so platte Aussage wissentlich so für sich allein stehend von sich gegeben hat.

Das Positivste am ganzen Buch war eine Sammlung von Zitaten (oder auch Lebensweisheiten), von denen einige sogar Sinn ergeben. Aber nur einige. Manche sind völlig ohne Plan. Was hat das Buch also zu bieten? Leider muß ich passen. Mir ist nichts aufgefallen.