Die Familie zuerst

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
marialein Avatar

Von

Roy Opgard und sein Bruder Carl sind sich so nah, wie Brüder nur sein können. Der ein Jahr ältere Roy unternimmt alles, um seinen kleinen, sensibleren Bruder zu schützen. Gemeinsam mit ihren Eltern leben sie auf einem abgelegenen Hof hoch oben in den Bergen in der kleinen norwegischen Gemeinde Os. Doch eines Tages kommen beide Eltern ums Leben, als sie in der engen Kurve, die vom Hof wegführt, von der Straße abkommen und in die Tiefe stürzen. Bald darauf verlässt Carl die Heimat, um in den USA zu studieren Roy bleibt allein zurück und übernimmt die Autowerkstatt und Tankstelle seines Onkels.

Jahre später kehrt Carl mit seiner schönen exotischen Frau Shannon und einem Projekt für ein Spa-Hotel zurück in die alte Heimat. Er verspricht dem kleinen Ort, das angesichts der Pläne für eine Umgehungsstraße in Angst davor lebt, dass ihm jegliche Lebensgrundlage entzogen wird, Wohlstand für alle. Mit seiner charismatischen Art gelingt es ihm schnell, genügend Unterstützer zusammenzubekommen und den Bau zu beginnen. Dass einige Bewohner Zweifel an den großen Versprechungen haben, die Kosten bald in die Höhe schießen und sogar seine eigene Frau Shannon, die das Hotel entworfen hat, unzufrieden mit den vielen Änderungen an ihrem Werk ist, scheint ihn nicht zu stören.

Gleichzeitig nimmt unerwartet der Polizist des Dorfes wieder die Ermittlungen zum Verschwinden seines Vaters und Vorgängers wieder auf. Er war von der Selbstmordtheorie nie ganz überzeugt gewesen und begegnet den Opgard-Brüdern mit offenem Misstrauen. Dabei wird auch der Leser immer misstrauischer. Was genau ist damals geschehen? Und was ist an den üblen Gerüchten über das Verhältnis der beiden Brüder dran?

Der Roman ist gefühlvoll, teilweise aber auch geradezu brutal spannend erzählt. Dem Autor gelingt es, die Protagonisten so sympathisch und nachvollziehbar zu gestalten und einem ihre Handlungen dann als beinahe unausweichlich darzustellen. Umso eindrücklicher ist Shannons Statement im Roman, dass unsere Handlungen sehr viel weniger von objektiven moralischen Erwägungen bestimmt werden, als wir uns das so gern einbilden.

All das gibt Jo Nesbo mit einer präzisen, bildhaften Sprache wieder. Ob Autos, Vögel, Actionfilme, Lyrik oder Philosophie – der Autor beherrscht alle Bilder meisterhaft. Ein absolut lesenswertes Krimi/Drama über den Stellenwert der Familie und die Frage, wie weit wir bereit sind, für die zu gehen, die wir lieben.