Um Krimielemente angereicherte Familientragödie

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In „Ihr Königreich“ nimmt Jo Nesbø seine Leser nicht mit auf ein neues Harry-Hole-Abenteuer, sondern in die norwegischen Berge. Dort, genauer gesagt in Os, führt Roy Opgard nach dem Tod der Eltern ein ruhiges Leben inmitten einer Dorfgemeinschaft, in der jeder sein Päckchen zu tragen hat. Als Carl, der Jüngere und Charmantere zum Studium nach Amerika ging, zurückkehrt, ist es mit der Ruhe für Roy vorbei. Denn Carl hat nicht nur ein Geschoss von Ehefrau dabei, sondern auch noch DIE Idee, wie man im Dorf an das große Geld kommen kann. Schnell wird klar, dass Carl nicht der Unschuldsengel ist, der er zu sein vorgibt …

So viel mal zum Inhalt. Einmal mehr beweist Nesbø, dass er schreiben kann, wenngleich es durch die Erzählweise (darauf wird zurückzukommen sein) dieses Mal etwas schwieiriger war, in die Handlung zu kommen: Zum lässt Nesbø Roy erzählen, den Pragmaten und ja, fast schon Stoiker unter den beiden Brüdern. Roy ist zwar sympathisch, aber eben nicht der geborene Erzähler. Zudem lässt Nesbø Roy viele Krumen hinwerfen, Andeutungen, die man als Leser erstmal einzuordnen hat. Das hat zwei Effekte: Man ist gespannt, rätselt, was da alles passiert sein mag (Wie war das denn nun mit dem Tod der Eltern?), andererseits auch ein bisschen frustriert, weil man eben nicht weiß, ob man komplett in die Irre läuft. Doch abgesehen davon geht es hier auch vorwiegend um die Entwicklung der Personen: Roy ist der „underdog“ und schon allein, dass die Geschichte aus seiner Perspektive erzählt wird, nimmt einen für ihn ein – dagegen Carl, der Charmeur, der alles besser weiß und kann: für mich nicht gerade ein Sympathieträger. Die Themen, die Nesbø hier aufwirft, sind so zahlreich wie sie ans Eingemachte gehen: Schuldgefühle, Missbrauch, Verrat, Gewalt … Und damit wären wir dann bei der Frage: Was ist „Ihr Königreich“ denn nun für ein Genre? Krimi, ja; aber irgendwie auch eine Tragödie, vielleicht auch eine Charakterstudie. Der Krimi und die Ermittlungen stehen sicher nicht im Vordergrund. Das muss man als Nesbø-Fan erstmal verdauen, aber (Weiter-)Entwicklung hat ja noch keinem geschadet … insofern: Komplexer als die Harry-Hole-Bände; spannend, wenn auch mit Längen; erzählerisch versiert; um Krimielemente angereicherte Familientragödie.