Gemeinsames Freischwimmen

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Das Debüt der Engländerin Libby Page „Im Freibad“ (The Lido) ist ein liebenswürdiger, kurzweilig zu lesender Roman, dem es gelingt, das Herz und den Geist einer gewachsenen Gemeinschaft über verschiedene Generationen einzufangen. Ich konnte der Geschichte über Liebe, Verlust, Freundschaft, Alter und Zusammenhalt nicht widerstehen.

Rosemary Peterson hat ihr ganzes Leben in Brixton, einem Stadtteil von London verbracht. Mit ihren 86 Jahren hat sie so manches erlebt, aber nun werden die Veränderungen zunehmend schmerzlicher.

Die Stadtteil-BIbliothek in der sie ihr Leben lang gearbeitet hat, wurde aus Kostengründen geschlossen. Aus dem früheren Gemüseladen der Familie wurde irgendwann eine trendige Bar. Doch nun ist das geliebte kleine Freibad von der Schließung bedroht. Gerade das Bad, das mit ihrem Leben so eng verflochten ist, in dem sich Groß und Klein, Jung und Alt treffen! Stattdessen möchte eine Wohnbau-Gesellschaft ein privates Freizeitzentrum für ihre Luxus-Wohnungen errichten.

Im Freibad lernte Rosemary als Kind das Schwimmen, dort verliebte sie sich in ihren späteren Mann George. Hier erlebte sie Gemeinschaft während ihrer Ehe und auch nach dem Tod ihres Mannes. Eigentlich fand ihr ganzes Leben hier statt.

„Ihr marineblauer Badeanzug hängt an der Wäscheleine wie eine Flagge.“ (S. 12)

Im Freibad ist man nicht allein, es überwindet Alters- und Klassenunterschiede. Im Wasser wirkt und fühlt sich die freundliche alte Dame Rosemary alterslos. Ja, sie wird im Wasser wieder das junge Mädchen, das sie dereinst war.

Doch nun sind ihre wunderschönen Erinnerungen in Gefahr.
Wasser ist eigentlich nicht das Element der schüchternen Kate Matthews. Sie ist als junge, vielversprechende Journalistin von wenigen Jahren an ein kleines lokales Blättchen nach Brixton verschlagen worden und fühlt sich dort unendlich alleine. Nun soll sie einen Artikel über die Schließung des Freibades verfassen.

Die engagierte Rosemary und Kate werden im Laufe von Kates Recherche zunehmend vertrauter miteinander, eine Freundschaft entwickelt sich. Kein Wunder, das Kates Bericht über das Bad eine Hauptperson bekommt: Rosemary.
Für Kate ist das Freibad nicht nur eine unerwartete Chance, sich zu profilieren und immer längere und beachtete Artikel zu schreiben. Zunehmend wichtiger wird das Schwimmen für sie zu einer persönlichen Therapie gegen ihre Panikattacken, die ihr die Luft nehmen.

Fazit:
Der Roman ist wunderbar geschrieben und liest sich federleicht. Viele emotional berührende Momente regen zum Nachdenken an. Die ungleiche Freundschaft zwischen Rosemary und Kate bildet den emotionalen Kern der Geschichte. Ohne es zu bemerken oder zu beabsichtigen, retten sie sich gegenseitig in ihrem Kampf um das Freibad. Die Gefühlswelt der beiden Frauen wird sehr empathisch vermittelt.

Der Autorin gelingt es, die Hintergrundgeschichte von Rosemarys Verhältnis zu ihrem Ehemann George so zart und mit Tiefe anzulegen. Auch die Entwicklung der Freibadbesucher zu einer eingeschworenen Gemeinschaft ist sehr interessant.

Spannend ist, wie das Schwimmen einerseits ein über alle Bevölkerungsschichten hinweg einendes gemeinsames Tun ist, andererseits aber auch persönliche Therapie, wie für Kate und Rosemary.

Doch es sind ja nicht nur Kate und Rosemary, die den Roman ausmachen. Mit einem großen Kreis weiterer sympathischer Charaktere erinnert der Roman daran, dass wir mit dem Verlust solcher vertrauter sozialer Orte, wie der kleinen lokalen Bücherei oder dem Freibad, auch die dort gelebte Freude an der Gemeinschaft und Freundschaft verlieren.
Orte, die man schätzen, genießen und auch verteidigen sollte.