Das war mal eine ganz andere Lesart
Sie verlässt den Schreibtisch. Nur kurz zur Toilette, gleich wieder da, informiert sie ihre Kollegin. Im WC zittert sie, weil ihre Ahnung gleich bestätigt wird. Im Slip eine rotbraune Spur, die kalte Toilettenbrille an ihren Schenkeln, Spritzer roten klumpigen Blutes in der Keramik. Elf Wochen, länger konnte sie es diesmal nicht halten.
Auf Antonias Bauch liegt ein winziges Kind. Sie ist sicher, dass sie gleich aufwachen wird. Doch dann schreit das Baby und sie ist wach. Alles ist fremd, ihr Unterleib schmerzt wie nie zuvor. Sie zwingt sich vom Sofa aufzustehen, weiß nicht wohin mit dem Säugling, findet einen Maxi-Cosi, legt ihn hinein. Ihr Blick fällt auf die Bilderrahmen. Darauf Antonia in einem Brautkleid, neben ihr ein Mann. In ihm erkennt sie ihre erste große Jugendliebe. Sie hatte sich damals getrennt, weil sie aus dem Kaff rauswollte und er nur so tat, als wolle er auch weg.
Toni liegt schon länger wach im Bett. In der Wohnung über ihr Stöhnen, ein quietschender Lattenrost. Nebenan beißt sich ein Mahlwerk durch die Kaffeebohnen. Gegenüber Kindergeschrei, die Wohnungstür knallt zu, Schuhklappern auf Holzstufen. Sie dreht sich zu Jakob und schmiegt ihr Gesicht in seinen Nacken. Sie hatte Jakob nach Adam kennengelernt. Mit Adam hätte sie sich alles vorstellen können, das volle Programm, aber dann hatte sie in der Stadt erst mal eine Weile das Alleinsein geübt. Jakob traf sie zum richtigen Zeitpunkt an seinem Merchendising-Stand. Er konnte sich Kinder vorstellen und dann konnte Toni das auch. Ihre Gynäkologin empfahl ihr zuerst einmal Folsäure und zyklusoptimierten Beischlaf. Zuerst lachten sie noch, dann gaben sie sich Mühe und scheiterten. Mühe und Scheitern. Mühe und Scheitern.
Fazit: Anne Sauer hat in ihrem Romandebüt zwei Szenarien unterschiedlicher Frauenleben erschaffen. Nach dem Motto, was wäre wenn, zeichnet sie Toni, die glaubt, den idealen Partner gefunden zu haben, mit dem sie die Familie gründen wird, die sie sich wünscht. Doch dann scheitern sie an der Fertilisation und dem Leistungsdruck. Das andere Szenario zeigt Toni als Antonia, die plötzlich im Leben nebenan als unfreiwillige Mutter erwacht. Was ich daran sehr gelungen finde, ist der enorme Leidensdruck auf beiden Seiten, so als würdest du, egal welche Lebensrealität du wählst, nichts richtig machen können. Die Autorin hat ganz klar gezeigt, wie traumatisierend ungewollte Kinderlosigkeit ist, aber auch, wie erschlagend das vermeintliche Mutterglück, tatsächlich ist. Der körperliche Schmerz durch die Geburt und danach, die Ängste um den Säugling und der Druck der Verantwortung, ganz zu Schweigen von dem erheblichen Mehraufwand. Ebenso die Frustration, wenn es nicht klappt, die Versagensängste, die Wut und die Belastung für die Beziehung. Anne Sauer hat den Blick der Gesellschaft auf fehlende Mutterschaft ebenso gezeigt, wie den auf überforderte Mütter. Selbst kinderlos geblieben, habe ich mich den gesellschaftlichen Anforderungen entzogen, habe mich Bewertungen einfach nicht gestellt, deshalb sind mir beide Dramen fremd geblieben. Umso mehr freue ich mich darüber, dass die Autorin meinen empathischen Blick geschärft hat. Sie sieht kapitelweise abwechselnd in die beiden Lebensentwürfe und lässt mich an den intimsten Gedanken teilhaben. Das war einmal eine ganz andere Lesart, die mich absolut bereichert hat.
Auf Antonias Bauch liegt ein winziges Kind. Sie ist sicher, dass sie gleich aufwachen wird. Doch dann schreit das Baby und sie ist wach. Alles ist fremd, ihr Unterleib schmerzt wie nie zuvor. Sie zwingt sich vom Sofa aufzustehen, weiß nicht wohin mit dem Säugling, findet einen Maxi-Cosi, legt ihn hinein. Ihr Blick fällt auf die Bilderrahmen. Darauf Antonia in einem Brautkleid, neben ihr ein Mann. In ihm erkennt sie ihre erste große Jugendliebe. Sie hatte sich damals getrennt, weil sie aus dem Kaff rauswollte und er nur so tat, als wolle er auch weg.
Toni liegt schon länger wach im Bett. In der Wohnung über ihr Stöhnen, ein quietschender Lattenrost. Nebenan beißt sich ein Mahlwerk durch die Kaffeebohnen. Gegenüber Kindergeschrei, die Wohnungstür knallt zu, Schuhklappern auf Holzstufen. Sie dreht sich zu Jakob und schmiegt ihr Gesicht in seinen Nacken. Sie hatte Jakob nach Adam kennengelernt. Mit Adam hätte sie sich alles vorstellen können, das volle Programm, aber dann hatte sie in der Stadt erst mal eine Weile das Alleinsein geübt. Jakob traf sie zum richtigen Zeitpunkt an seinem Merchendising-Stand. Er konnte sich Kinder vorstellen und dann konnte Toni das auch. Ihre Gynäkologin empfahl ihr zuerst einmal Folsäure und zyklusoptimierten Beischlaf. Zuerst lachten sie noch, dann gaben sie sich Mühe und scheiterten. Mühe und Scheitern. Mühe und Scheitern.
Fazit: Anne Sauer hat in ihrem Romandebüt zwei Szenarien unterschiedlicher Frauenleben erschaffen. Nach dem Motto, was wäre wenn, zeichnet sie Toni, die glaubt, den idealen Partner gefunden zu haben, mit dem sie die Familie gründen wird, die sie sich wünscht. Doch dann scheitern sie an der Fertilisation und dem Leistungsdruck. Das andere Szenario zeigt Toni als Antonia, die plötzlich im Leben nebenan als unfreiwillige Mutter erwacht. Was ich daran sehr gelungen finde, ist der enorme Leidensdruck auf beiden Seiten, so als würdest du, egal welche Lebensrealität du wählst, nichts richtig machen können. Die Autorin hat ganz klar gezeigt, wie traumatisierend ungewollte Kinderlosigkeit ist, aber auch, wie erschlagend das vermeintliche Mutterglück, tatsächlich ist. Der körperliche Schmerz durch die Geburt und danach, die Ängste um den Säugling und der Druck der Verantwortung, ganz zu Schweigen von dem erheblichen Mehraufwand. Ebenso die Frustration, wenn es nicht klappt, die Versagensängste, die Wut und die Belastung für die Beziehung. Anne Sauer hat den Blick der Gesellschaft auf fehlende Mutterschaft ebenso gezeigt, wie den auf überforderte Mütter. Selbst kinderlos geblieben, habe ich mich den gesellschaftlichen Anforderungen entzogen, habe mich Bewertungen einfach nicht gestellt, deshalb sind mir beide Dramen fremd geblieben. Umso mehr freue ich mich darüber, dass die Autorin meinen empathischen Blick geschärft hat. Sie sieht kapitelweise abwechselnd in die beiden Lebensentwürfe und lässt mich an den intimsten Gedanken teilhaben. Das war einmal eine ganz andere Lesart, die mich absolut bereichert hat.