Interessante literarische Verarbeitung der Kinderfrage

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waschbaerprinzessin Avatar

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Es gab vieles, was ich an Anne Sauers Romandebüt “Im Leben nebenan” wirklich gerne mochte, aber dennoch ist der Funke zwischen mir und dem Buch leider einfach nicht so ganz übergesprungen, ohne dass ich genau festmachen kann, warum.

Zunächst einmal hat mir die Idee unglaublich gut gefallen, zwei mögliche Lebenswege derselben Protagonistin gegenüberzustellen: Das Leben im Heimatdorf, in dem sie ihre Jugendliebe geheiratet hat, mit ihm im eigenen Haus lebt und vor wenigen Wochen ein Kind entbunden hat, gegen das Leben in der Stadt mit einem langjährigen Partner und einem unerfüllten Kinderwunsch in einer kleinen Wohnung. Wie die Autorin die beiden Welten voneinander abgegrenzt hat, indem sie die Protagonistin in einem Leben Antonia und im anderen Toni nennt und die Kapitelzahlen jeweils an unterschiedlichen Seitenrändern stehen, fand ich ebenfalls gelungen.

Ganz besonders mochte ich, wie lebendig und realitätsnah Sauer Alltagssituationen schildert. Sie beschreibt mit wenigen Worten so treffend und detailliert Gerüche, Geräusche, Gefühle und Geschmäcker, dass ich mich immer sofort in die jeweilige Situation hineinversetzen und gut mit der Protagonistin mitfühlen konnte. Und es sind bei Weitem nicht nur angenehme Erfahrungen, die man beim Lesen gemeinsam mit Toni/Antonia erlebt. Mir hat gut gefallen, dass nicht unbedingt ein Lebensentwurf als besser oder schlechter dargestellt wird, sondern man schöne und schwierige Momente aus beiden Welten miterlebt. Auf diese Weise entsteht eine interessante Perspektive auf die Frage: “Kinder bekommen, ja oder nein?”, ohne dass eine Sichtweise bevorzugt wird.

Insgesamt hat mich das Ende dann aber doch etwas verwirrt und mit Fragezeichen im Kopf zurückgelassen. Möglicherweise ist das jedoch beabsichtigt. Was mich ebenfalls verwirrt hat, waren die Zeitsprünge im Toni-Erzählstrang. Hier ist es mir oft schwergefallen, zu nachzuvollziehen, wie viel Zeit zwischen den Kapiteln vergangen ist, ob es sich um eine Rückblende handelt und ob sich die Handlung vor oder nach der im Prolog geschilderten Szene abspielt. Die genaue Reihenfolge und Dauer der Ereignisse in diesem Leben der Protagonistin blieb für mich bis zum Schluss etwas unklar. Was meinen Lesefluss zudem immer wieder ins Stocken brachte, war der ständige Wechsel zwischen Präsens und Präteritum, teilweise im selben Satz. Ich bin mir unsicher, ob es sich hierbei um ein Stilmittel oder ein Versehen handelt. Mich hat es beim Lesen jedenfalls immer wieder irritiert.

Insgesamt war “Im Leben nebenan” von Anne Sauer für mich ein Buch mit einer schönen Grundidee, das sich gut lesen lässt und die Kinderfrage auf kreative Weise beleuchtet, das mich aber einfach nicht so begeistern konnte, wie ich es mir gewünscht hätte.