Na hoffentlich nicht so, aber wir haben es ja in der Hand

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
elke seifried Avatar

Von

»Ich glaube, als Kathrin und du mit der Planung für eure Silberhochzeit begonnen habt, da ist dir plötzlich klar geworden, dass du seit mehr als fünfundzwanzig Jahren mit derselben Frau zusammen bist. Und das hat dich in eine Lebenskrise gestürzt.« Ob Arnolds Kumpel Recht hat, „Wenn ich morgens vor dem Spiegel stehe, dann sehe ich wie die heruntergekommene Version vom Weihnachtsmann aus.“, ob es einfach am Alter liegt, dass er nur noch Schwarzsieht und überall ein Haar in der Suppe findet oder tatsächlich an ständigen Horrormeldungen wie Klimakatastrophen, vermag ich nicht wirklich eindeutig zu beantworten. Sicher aber ist, dass für seine Frau gilt, »Weißt du, was ich an der Vorstellung, hundert Jahre alt zu werden, am schlimmsten finde?« Ich zucke mit den Schultern. »Dass ich mir noch weitere fünfzig Jahre lang dein Gejammer anhören muss. Dabei steht es mir schon jetzt bis hier.« Wieder einmal endet ein Tag mit einem Fetzenstreit, aber als der 53-Jährige Arnold das nächste Mal aufwacht, hat sich einiges verändert. „Ich stelle also mit Schrecken fest, dass ich in einem fremden Bett liege, obwohl ich jeden Eid darauf schwören würde, dass ich mich gestern Abend neben Kathrin in mein eigenes Bett gelegt habe. Was ist hier los?“.

Als Leser wacht man mit Arnold zwar im Februar, einige Tage vor dem Hochzeitstag, aber statt 2020 im Jahr 2045 auf. Von Gustav seinem persönlichen Assistenten »Eine künstliche Intelligenz mit einem synthetischen Körper« unterstützt, muss man sich nun mit Arnold in der Zukunft zurechtfinden. Dabei gilt es nicht nur neue technische Erfindungen auszutesten, „Ich trinke einen Schluck Kaffee, den Rest der Tasse schütte ich gegen die Wand, wo die Flüssigkeit einen braunen Fleck hinterlässt. »So, und wie war das doch gleich? Diese Nanodinger sind selbstreinigend, richtig?« Gustav wiegt den Kopf hin und her. »Nicht ganz. Es gibt zwar Modelle, die selbstreinigend sind, aber die Nanobots, die hier verwendet wurden, sind es leider nicht.« Peinlich berührt schaue ich zu dem hässlichen Kaffeefleck. »Oh. Sorry.« »Kleiner Scherz«, sagt Gustav, ohne mit der Wimper zu zucken. »Alle Nanobots sind selbstreinigend.«, sondern auch neue Lebenswelten zu erkunden, digitale Welt der Wünsche als Hort für alle, die nichts taugen, Camp der Autonomen, die die digitale Revolution und die Überwachung nicht mitgehen wollen, und auch die Welt, die sich die Reichen durch den Fortschritt schaffen können. Weder ein großes Vermögen auf der Seite, noch mag sich das Erinnerungsvermögen bei Arnold von selbst wieder einstellen, deshalb soll auch er in der digitalen Erlebniswelt entsorgt werden und ein regelrechtes Wettrennen beginnt. Zeitgleich bekommt man in zwischengeschobenen Kapiteln Rückblenden aus Arnolds Leben geboten, die von seinen Urlauben mit seiner Frau Kathrin, letzten Familientreffen oder auch seinen Bowlingabenden mit Olaf, Walter und Jens, Freunde, die er auch in der Zukunft wieder trifft, erzählen. Wie die Geschichte dann am Ende ausgeht, wird natürlich nicht verraten. Höchstens so viel, von der Idee her gut, aber mir ein bisschen zu viel Happy End.

Funktionswäsche, die Vitaldaten überwacht, ist das Zukunft oder mit Fitnessbändern schon gar nicht mehr so weit weg? Hans Rath hat hier ein Zukunftsszenario entworfen, das mich vor allem witzig unterhalten, aber stellenweise auch nachdenklich gemacht hat. Klar, eine Einrichtung aus Nanobots, die sich selbst reinigt, so was hätte ich vielleicht schon auch gern, Dinge wie »Ein Großteil des für den Konsum bestimmten Fleisches wird heute in Bioreaktoren hergestellt.<<, ängstigen mich hingegen und ich will genauso wenig hoffen, dass die auf mich zukommen, wie, dass die Welt immer mehr durch die Reichen regiert wird und gilt „Als Arbeitskräfte werden wir nicht mehr gebraucht, weil die Bots alles erledigen. Und als Konsumenten sind nur Menschen interessant, die über entsprechende Mittel verfügen. Mehr als die Hälfte der Menschheit ist überflüssig.“ Über ganz vieles konnte ich schmunzeln, einiges konnte ich mir sogar gut vorstellen, das eine oder andere war aber doch auch ziemlich abgefahren, wie z.B. „ Ihren Körper hier in einem der hauseigenen Labore im Untergeschoss in einen todesähnlichen Zustand und zapfen vorübergehend Ihr Bewusstsein ab, um es in die Times-Beach-Cloud hochzuladen. Und all das kostet Sie keinen Cent.“

Der kurzweilig, pointiert, witzige Sprachstil von Hans Rath macht richtig Spaß und so fliegen die Seiten. Witzige Szenen und Dialoge wie, wenn er vor lauter Schlechtreden völlig vergisst, die Tomaten zu schneiden, »Der Klimawandel ist sogar schuld daran, dass du mit dem Salat nicht fertig wirst?«, fragt sie spitz. »Gewissermaßen«, improvisiere ich. »Gäbe es keinen Klimawandel, müssten wir nicht darüber diskutieren. Und dann könnte ich mich voll und ganz auf den Salat konzentrieren.« oder Diskussionen mit Gustav zur Balance zwischen Schlemmen und Genießen, »In deinem Fall würde die Gemüse-und-Fisch-Diät allerdings exakt 9,75 Tage dauern. Nur jemand, der jung und sehr sportlich ist, könnte deine Schweinshaxe in zwei Tagen kompensieren.« und auch Gustavs spitze Kommentare, »Es sind nur Hühnereier, allerdings genetisch optimierte. Sie enthalten kein Cholesterin, dafür einen auf dich abgestimmten Hormon- und Vitaminkomplex.« »Damit ich bei guter Laune bleibe?«, rate ich. »Hauptsächlich, damit deine Sexualorgane einwandfrei funktionieren. In deinem Alter muss man da ein bisschen nachhelfen.«, machen das Lesen hier zum großen Vergnügen. Ich habe überwiegend mit einem Schmunzeln oder Grinsen im Gesicht gelesen, ab und an musste ich auch laut lachen. Trotz aller angefahrener Ideen konnte mich der Autor stellenweise auch richtig rühren, besonders, wenn Gustav, für den eigentlich gilt, „»Solche Empfindungen sind bei mir konstruktionsbedingt nicht vorgesehen«, Fehlfunktionen hat und schon mal Kondenswasser aus dem System pressen muss.

Arnold, der zum Schwarzseher mutiert ist, wird gelungen dargestellt, mein heimlicher Favorit war aber fast Gustav, über den ich nicht nur unheimlich viel schmunzeln konnte, sondern, der mir fast ein wenig ans Herz gewachsen ist. Als gelungene Mitspieler habe ich auch, den vom Neid fast zerfressenen, Olaf, Uli, der sein Glück mit Immobilien gemacht hat, und Walter, den Literaturwissenschaftler, der sich aus Geld nichts macht, empfunden.

Alles in allem ein humorvolles Zukunftsszenario, das zum Glück auch deutlich macht, dass gilt „Es gibt zwar Dinge, die man nicht beeinflussen kann, aber im Großen und Ganzen sind wir selbst es, die darüber bestimmen, wie unsere Zukunft aussehen wird.“ und von mir noch fünf Sterne bekommt, auch wenn ich vielleicht mit dem Ende nicht ganz so glücklich war.