Der Hass, die Hetze und der Tod

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kainundabel Avatar

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Aktueller geht’s kaum: Postings und Kommentare, triefend vor Hass und Hetze in den asozialen Netzwerken platziert – sie sind das Fundament von Stefan Slupetzkys Kriminalroman „Im Netz des Lemming“. Eigentlich heißt er Leopold Wallisch, Nachtwächter im Tierpark Schönbrunn, Vater des elfjährigen Ben. Mit dessen gleichaltrigem Freund Mario fährt er ein Stück gemeinsam mit der Straßenbahn. Als der Junge nach einem Blick auf sein Smartphone plötzlich völlig aufgelöst aus der Bahn stürmt und über die Straße rennt, folgt ihm der Lemming, weil er Böses ahnt. Er ist der Letzte, der Kontakt mit Mario hat, bevor dieser sich über ein Brückengeländer in die Tiefe stürzt. Da wissen all die Klugscheißer, die im Netz unterwegs sind, sofort Bescheid: Wallisch ist ein Pädophiler und hat Mario in den Tod getrieben. Befeuert von der rechten Presse kennen Hass und Hetze ab jetzt keine Schranken mehr. Zusammen mit Polivka, vor Jahren geschasster Polizeichefinspektor, begibt sich der Lemming auf die Suche nach dem ominösen Verursacher.
Slupetzky versteht sein Handwerk. Chronologisch durchaus spannend erzählt, mit klarer Wortwahl und trotz des ernsten Themas mit Wortwitz durchsetzt, nimmt er die Leser*innen mit auf diese Suche. Dabei tun sich Abgründe auf, die in einem oftmals die Wut zum Kochen bringen. Der Roman ist weit mehr als ein Kriminalroman. Er ist eine Bestandsaufnahme der aktuellen gesellschaftlichen Situation, speziell der Widerwärtigkeiten und der Inhumanität der Unbelehrbaren, der Gedankenlosen, der Hasser und Hetzer im Netz. Bissig und zynisch entlarvt er nebenbei die oberste Politkaste seines Heimatlandes Österreich, in dem „der Geschmeidige“ das Sagen hat. Derjenige, der „wie Phoenix aus der Asche“ erstanden ist, dank eines "guten Schneiders" und eines noch "besseren Friseurs" und dessen (inzwischen Ex-) Vizekanzler ganz rechtsaußen agieren durfte. Ich fürchte, viele seiner Landsleute werden dem Autor verübeln, wenn er unverblümt sagt, dass der Mensch aus Schaden klug werde, nur die Österreicher würden dumm und dümmer. Möge ihm der oft erwähnte „Scheißsturm“ erspart bleiben!