Ungewöhnlich

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solengelen Avatar

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Im Netz des Lemmings
Kurzbeschreibung:
Ein tragischer Suizid und ein Nachtwächter in Bedrängnis
Der Lemming versteht sie nicht mehr, die Welt. Und noch weniger versteht er das Kauderwelsch aus Internet-Sprache und Englisch, das sein Sohn Ben mit seinem Freund Mario spricht. Als der Lemming sich mit ebendiesem Mario durch Zufall eine Straßenbahn teilt, passiert das Unfassbare: Auf Marios Handy-Display erscheint eine offenbar schockierende Nachricht, der Bub rennt unvermittelt aus der Bahn und springt von einer Brücke in den Tod.
Der Lemming ist fassungslos. Noch mehr, als plötzlich ein Shitstorm auf ihn einprasselt: Die Medien haben aus dem Mann, der mit dem unglücklichen Burschen vor dessen Suizid gesprochen hat, einen pädophilen Triebtäter gemacht. Und plötzlich sind sein Foto und sein Name überall. Auch Chefinspektor Polivka, der dem Lemming vertraut und mit ihm herausfinden will, was wirklich hinter Marios Tod steckt, gerät ins Kreuzfeuer der Öffentlichkeit. Bald ranken sich auch wilde Spekulationen um Marios Familie – denn die engagiert sich in der Flüchtlingshilfe – während Wien im Zeichen von dirty campaigning und politischer Hetze steht.
Der Lemming indes droht sich in verschiedensten Netzen zu verwickeln: Im World Wide Web, mit dessen Gefahren er es zu tun bekommt, in den Verstrickungen korrupter Politiker, die nicht nur im Internet Fake News verbreiten, und in den feinen Fäden, die die Boulevardpresse spinnt, wenn sie mit haltlosen Behauptungen eine möglichst große Leserschaft einfangen möchte.
Slupetzky legt den Finger in die Wunden der Gesellschaft
Jeder Satz passt in diesem Kriminalroman, jedes Wort trifft – Stefan Slupetzky ist ein Sprachkünstler, der es versteht, mit viel Feinsinn Bilder entstehen zu lassen, die sich einprägen. Nichts ist schwarzweiß, jeder hat eine Geschichte, stets hat es einen Grund, warum einer da ist, wo er heute ist. Slupetzky schaut ganz genau hin, wenn er seine Figuren zeichnet, und so manche wird einem bekannt vorkommen. Da ist der kleine Bub, der es unter den Schulkollegen so schwer hat, dass ihn eine Aura der Traurigkeit umgibt, da ist der frühere Neonazi, der sich für seine Tätowierungen schämt. Da ist jener Lehrer, der einmal Idealist gewesen ist, bevor ihm die Realität den Antrieb genommen hat, und der ehemalige Polizist, der jetzt nachts im Tierpark arbeitet und erst mehrere rauschhafte Nächte braucht, bevor er seinem Freund Polivka das Du anbieten kann. Leopold "Lemming" Wallisch ist ein stiller, feinfühliger Charakter mit trockenem Humor und Gespür für seine Mitmenschen und deren Realitäten.
Slupetzky lässt seinen Lemming durch die Wiener Nächte wandeln, mit Lust am Wortspiel – und ohne dabei jemals seine Leichtigkeit zu verlieren.

Fazit:
Bisher kannte ich kein Buch um die Protagonisten “Lemming“ und Polivka. Das ist aber auch nicht notwendig, da es sich um eine eigenständige Geschichte handelt.
Zur Geschichte selbst will ich hier nichts schreiben, da die vorhandene Kurzbeschreibung, die ich oben eingefügt habe, eine ausreichende Einsicht in die Geschichte gibt. Das war auch der Grund, warum ich dieses Buch gerne lesen wollte.
Die leichte und bildhafte Sprache des Autors hat mich direkt in die Geschichte gezogen. Er beschreibt sowohl die Charaktere und die Orte so, dass man beim Lesen direkt alles vor dem inneren Auge sehen kann. Manchmal sind die Beschreibungen so überdeutlich, dass einem die Nackenhaare zu Berge stehen.
Stefan Slupetzky greift hier mit viel Lokalkolorit aktuelle wie brisante Themen auf. Auch wenn man nicht wüsste, dass der Autor Österreicher ist, die Sprache macht es deutlich. Es verleiht dem Buch trotz allem einen gewissen Wiener Schmäh. Die Seiten sind nur so dahingeflogen.
Das anonyme www macht es nur allzuleicht Unwahrheiten, Hetze, Mobbing und vieles mehr zu verbreiten. Der Autor zeichnet ein erschreckendes, aber leider auch wahres Bild über, ich möchte fast sagen, Verrohung unserer Gesellschaft. Die Anonymität macht es allen leicht, andere in den Schmutz zu ziehen, zu verunglimpfen, Lügen zu verbreiten und leider glauben zu viele dies nur zu gerne und hetzen mit. Es ist eine Schande wie der gemeine Mob Leben zerstört.
Die Geschichte ist leider ein Spiegelbild unserer Gesellschaft und auch vermeintliche “Gutmenschen“ und auch Politiker nutzen die sogenannten sozialen Medien für ihre Zwecke. Ich frage mich warum es soziale Medien heißt, was ist daran sozial?
Vermeintliche Hilfe kann auch in die andere Richtung gehen, wenn die Falschen an vertrauliche Informationen kommen. Mir hat das Buch gut gefallen, auch die verwendeten österreichischen Ausdrücke und Bezeichnungen. Auch die beiden, sagen wir mal speziellen Charaktere, geben der Geschichte eine besondere Note. Wer sich auf den, wie ich finde eigentlich untypischen Krimi einlässt wird nicht enttäuscht werden.