Es passt nicht jeder Schuh an jeden Fuß

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Alex Cohen ist der Sohn eines jüdisch-amerikanischen Schuh-Magnaten. Sein Vater Fedor besitzt eine Schuhfabrik im chinesischen Foshan und möchte die Leitung nun an seinen Sohn übergeben. Dieser muss sich zunächst einmal darin üben, sich mit dieser neuen, möglichen Rolle zu arrangieren. Durch die Arbeiterin Ivy lernt er zur gleichen Zeit aber auch die andere Seite kennen: Schlechte Arbeitsbedingungen für chinesische „Wanderarbeiter“, Armut in der Bevölkerung, Ungerechtigkeit und scheinbare Wahllosigkeit in der Androhung von Maßnahmen des Establishments. Ivy und ihr mutmaßlicher Vertrauter Zhang planen eine „Revolution im Kleinen“ und brauchen dafür Alex' Hilfe. Dieser sieht sich nun zwischen den Stühlen: zwischen familiärer und gesellschaftlicher Verantwortung, zwischen der Liebe zum ungestümen Vater und zur geheimnisvollen Frau.

„Mit dir fühlte ich mich anders. Die anderen waren nur Steine im Fluss der Männer“. (S. 135)

„Im Reich der Schuhe“ ist das literarische Debüt von Spencer Wise, der selbst in einer südchinesischen Schuhfabrik gearbeitet hat und damit über gewisses Insider-Wissen verfügt. Und dieser Erstling ist überaus gelungen und überraschend. Mit sicherer Hand führt Wise seine Leser*innen durch seine Erzählung, führt routiniert durch die Handlung und entwirft vielschichtige Figuren. Mit seinem Protagonisten Alex etabliert er früh den Sympathieträger: Die Zerrissenheit, die er in seinen Verantwortlichkeiten spürt, ist von Anfang an präsent, und er entwickelt sich von einem unsicheren, fast schon realitätsfremden „Hauptberuf Sohn“-Menschen zu einem klar positionierten und selbstständigen, ja sogar opferbereiten Mann.

Auch wenn dieser Prozess vielleicht ein wenig reißbrettartig anmutet, so weiß Wise an anderer Stelle durchaus auch zu überraschen. Die Arbeiterin Ivy strotzt vor Stärke und Eigenständigkeit und repräsentiert das China, wie es abseits der Zensur ist. Als Konterpart zum mürrisch-überheblichen, aber auch chronisch hypochondrierenden Senior-Chef Fedor – eine gelungene Attribut-Zuweisung! - steht sie für Aufbruch und Neuanfang. Interessant ist hier auch die Gegenüberstellung von jüdischer Vergangenheit und chinesischer Gegenwart: Wise stellt Parallelen her, kratzt an der Historie und umschifft dennoch auch zu unsicheres Gewässer. Klug und überlegt flicht er geschichtliches Wissen in seine Erzählung ein, verknüpft eigene und Figurenerfahrungen. Auch hier hätte ich mir gelegentlich noch an der einen oder anderen Stelle ein wenig mehr Mut zu Unerwartetem gewünscht. Dennoch ist Wise ein mehr als solides Debüt gelungen, das mit einem kreativen Figuren-Tableau und einer packend erzählten, stringenten Story überzeugen kann.