Inkonsistente Welt und verlorene Möglichkeiten

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
schnurpsi Avatar

Von

Chloe Gongs „Immortal Longings – Ein Spiel auf Liebe und Tod“ beginnt mit einem eindrucksvollen Auszug aus Shakespeares „Antonius und Cleopatra“. Diese Hommage an das berühmte Liebespaar setzt den Ton des Buches: Es handelt sich um eine Liebesgeschichte, die von Beginn an von einer düsteren Vorahnung durchzogen ist – man ahnt, dass es nicht unbedingt ein glückliches Ende geben wird.
Schon auf den ersten Seiten wird klar, dass Gongs Welt nicht ganz ausgereift ist. Eine frühe Beschreibung, dass „ein geteilter Knochen stets glatt wieder zusammenwächst“ wirft Fragen auf – denn das tun Knochen ja nicht. Die Metapher wirkt auf den ersten Blick ungeschickt und lässt Leser*innen an der Konsistenz und Logik der dargestellten Welt zweifeln. Vielleicht wachsen in San-Er tatsächlich alle Knochen glatt zusammen, doch die beiläufige Erwähnung solcher Details ohne tiefere Erklärung trägt eher zur Verwirrung bei.
Ein weiteres Rätsel stellt die Hauptfigur Calla dar, die an ihrem eigenen Körper festhält, obwohl das Wechseln von Körpern in ihrer Welt zur Normalität gehört. Diese Bindung an den eigenen Körper könnte als Symbol für ihre Identität und ihren inneren Konflikt verstanden werden, bleibt jedoch in der Erzählung unzureichend erforscht. Ebenfalls problematisch ist die Tatsache, dass Calla trotz einer lediglich Mund und Nase bedeckenden Maske und ihrer auffälligen, königlichen Augenfarbe von niemandem erkannt wird. Besonders absurd erscheint dies in Szenen, in denen andere Charaktere sie intensiv mustern und dennoch nicht erkennen, wer sie ist. Dieser Widerspruch stört die Glaubwürdigkeit der Geschichte erheblich.
Gongs Schreibstil ist solide, doch sie legt großen Wert darauf, die schmutzige und arme Umgebung, in der die Geschichte spielt, immer wieder zu betonen. Diese ständige Betonung wirkt irgendwann übertrieben und lenkt von der eigentlichen Handlung ab.
Das World Building ist insgesamt inkonsistent. Zunächst wird (halbwegs verständlich) erklärt, dass man nicht einfach den Körper einer reichen Person besetzen kann, da man deren Kennnummer benötigen würde, um deren Haus zu betreten. Doch kurz darauf schafft es eine der Hauptfiguren, problemlos eine gestohlene Kennnummer zu verwenden, während eine andere Figur mit Leichtigkeit in die Wohnung eines besetzten Bankers eindringt. Diese Widersprüche lassen die Welt unausgereift und die Regeln willkürlich erscheinen.
Ein weiteres Mysterium bleibt die Haltung der Bürger*innen von San-Er gegenüber den illegalen Springern. Obwohl diese gefährlich sind – sie können Straftaten begehen, Identitäten stehlen und Körper für gefährliche Aktivitäten nutzen – scheint die Stadtgesellschaft ihre Existenz und das tödliche Spiel, das sie veranstalten, weitgehend zu tolerieren. Diese Akzeptanz wirkt angesichts der Bedrohung, die von den Springern ausgeht, unlogisch und erschwert es, sich in die Welt von San-Er wirklich einzufühlen.
Eine weitere Schwäche des Buches liegt in der Figur Anton. Oberflächlich, selbstherrlich und oft nervig, lässt er wenig Sympathie beim Leser aufkommen. Seine Entwicklung im Laufe des Buches ist dringend notwendig, um das Lesevergnügen zu steigern.
Insgesamt bietet „Immortal Longings – Ein Spiel auf Liebe und Tod“ einige interessante Ansätze, scheitert jedoch an der inkonsistenten Ausarbeitung seiner Welt und Figuren. Chloe Gong schafft es nicht, das Potenzial ihrer Grundidee voll auszuschöpfen, und hinterlässt Leser*innen mit mehr Fragen als Antworten. Die Geschichte könnte diejenigen ansprechen, die sich für düstere Liebesgeschichten oder Urban Fantasy Verschnitte von „Tribute von Panem“ (aber ohne den Tiefgang) interessieren, doch die zahlreichen Logiklücken und die flachen Charaktere könnten den Genuss trüben.