Einfach mitreißend

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fraedherike Avatar

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Seit ein paar Wochen schon merkt Andreas, dass seine Frau Caroline ihm immer mehr zu entgleiten scheint. Sie ist distanziert, von Intimität kann keine Rede sein, schlafen sie allabendlich in ihren Büros. Er vermisst sie, die Nähe, die sie einst teilten, aber hat eine Idee: ein Segeltörn in die schwedischen Schären, ein lang gehegter Traum der beiden. Doch sie werden nicht alleine an Bord der Querelle sein, denn auch ein junger Anwaltskollege von Andreas und dessen Freundin sowie der Skipper des Segelschiffs, Eric Fauré, werden dabei sein. Natürlich hatte Andreas nicht nur Romantik und Zweisamkeit im Sinn, eh ist Caroline die Vorstellung, zehn Tage auf einem Segelschiff mit fremden Menschen zu verbringen, zuwider. Zehn Tage, während derer sie sich in ihrem Leben ausbreiten werden. Da helfen auch die Dokumentationen, die Andreas ihr „zur Einstimmung“ schickt, nichts. Zu erdrückend sind die Gedanken, die sie gerade mit sich trägt, und noch nach dem richtigen Zeitpunkt sucht, sich freizureden. Für Andreas steht seine Arbeit, seine Partnerschaft in der Kanzlei, eh immer im Mittelpunkt. Allem Frust zum Trotz strahlt die Sonne, als sie einige Wochen später gen Norden ablegen. Doch die Stimmung wird kälter, je dunkler das Wasser wird; sehnsuchtsvolle Blicke, beiläufige Berührungen – und Erics blaukalte Augen. Geheimnisse drohen, an die Oberfläche gespült zu werden und die Spannung auf dem Schiff ist greifbar. Und dann brechen die Naturgewalten über sie herein.

Sanfte Meereswogen, Salz auf der Haut. Aufgebracht peitscht der Wind über das Meer, lässt die Segel anschwellen. Kontrollverlust. Mitreißend entwirft Kristina Hauff in ihrem Roman "In blaukalter Tiefe" ein nautisches Kammerspiel, das sich binnen kürzester Zeit von einem entspannten Segeltörn in einen Kampf um Leben und Tod verkehrt. Auf engstem Raum, zwischen Kajüte und Deck gefangen, prallen fünf Menschen aufeinander, deren Leben und Beziehungen schon, bevor sie das Schiff betraten, von ungesagten Worten und unerfüllten Wünschen geprägt waren: Sie hatten sich auseinander gelebt, doch wollten es nicht wahrhaben.

Flirrend wechselt die Erzählperspektive zwischen ihnen hin und her, gibt Aufschluss über ihre Geheimnisse und Gedanken, voreilig gefällte Urteile - nur der Skipper Eric bleibt stumm, seine Gefühle ein Geheimnis. Zaghaft öffnen sie sich einander, doch je leiser die Stimme, desto stärker ihre Wirkung. Die beide Frauen verbindet mehr als sie dachten, trotz des Altersunterschieds: Während Tanja, gelernte medizinische Bademeisterin und Krankenpflegerin, sich noch immer nach einem Kind sehnt, ihrem Freund immer den Rücken freihielt, zurücksteckte, lebt Caroline in ständiger Angst um ihre Tochter Isabella, ihre psychische Instabilität. Ein Kind, das passte nicht in ihren Lebensplan, die sie nach Erfolg und Unabhängigkeit strebte, und doch war die Geburt ihrer Tochter das Beste, was ihr passieren konnte. Doch mit ihrem Nestflucht nahm Isabella der kriselnde Beziehung ihrer Eltern das zusammenhaltende Fundament, aber auch ein "zweites Kind hätte sie nicht glücklicher gemacht". Denn Andreas strahlt, er übertrumpft, er liebt es, im Mittelpunkt zu stehen. Und lässt nichts unversucht, Carolines Nähe wiederzuerlangen. Sein Mittel der Wahl: Eifersucht. Sie spielen einander aus, Nähe und Distanz, fremde Hände, kühle Blicke. Provokation.

Kristina Hauff schreibt mitreißend und lebendig, fast meint man, das sanfte Schlagen der Wellen gegen den Bug, das Kreischen der Möwen zu hören. Losgelöst vom Rest der Welt konzentriert sie die Handlung auf das Schiff und die Menschen, die auf ihm um sich und einander kämpfen, ein geschlossener Raum mitten auf den blauen Weiten der Schären. Die Atmosphäre wird mit jeder Seemeile gespannter, die Luft dünner, das Herz schlägt schneller. Die kurzen Kapitel, die schnellen Wechsel zwischen Innen- und Außenwelt unterstützen eben diese Tempo noch, und lassen dennoch viel Raum, die Gedanken ihrer Wege ziehen zu lassen, was mir sehr gefallen hat. Die Charaktere sind facettenreich gezeichnet, sie sind nahbar, echt. Fehlbar und gebrochen, suchend nach ihrem Platz in der Welt. Besonders Tanja ist mir sehr ans Herz gewachsen - aus ganz eigenen Gründen. Das Ende, hm, es ließ mich ein wenig unbefriedigt zurück, blieb manches doch sehr offen. Andererseits... Genau deswegen muss ich immer wieder daran zurückdenken, es lässt mich einfach nicht los. Eine Alltagsflucht - Buch auf, Anker los. Die Welt vergessen. Eine große Empfehlung!