Eine Frau fällt aus der Rolle

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buecherwurm Avatar

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Zunächst war mir das stimmungsvolle, aber vielleicht doch etwas zu unscheinbare Cover gar nicht aufgefallen. Der Roman, der sich dahinter verbirgt, ist außerordentlich gelungen.
Mit einer Sprache, die zugleich bildhaft und verständlich ist, gelingt es der Autorin, über 300 Seiten lang zu fesseln. Das Ganze geschah, so oder so ähnlich, im Jahr 1970: Giovannas Lehrerin ist tief erschüttert vom Selbstmord ihrer Schülerin, geplagt von Schuldgefühlen. Während man heute bei solch einem Vorkommnis wohl mit einer Krankschreibung vom Arzt rechnen würde - posttraumatische Belastungsstörung - flüchtet Silvia in den Wald. Der Schüler, der sie findet, gerät in einen Konflikt, ihr einerseits helfen zu wollen, andererseits auf ihren Wunsch hin aber niemandem etwas von ihrem Aufenthaltsort zu verraten. Besonders dieser Aspekt des Romans ist phantastisch beschrieben, die Rollen kehren sich um, der Schüler kann die verwahrloste Person in der Hütte nicht mehr als Autoritätsperson sehen, dennoch handelt er so, wie sie es von ihm verlangt, er bewahrt ihr Geheimnis, wächst unter dieser Überforderung über sich hinaus. Das dörfliche Leben in Norditalien zu dieser Zeit, bis zurück zur Zeit des Zweiten Weltkrieges wird in parallelen Handlungssträngen ebenfalls erzählt. Das ist alles hochinteressant, keineswegs unübersichtlich, jede Figur ist klar von allen anderen zu unterscheiden, ohne auf Klischees zurückzugreifen.
Ich konnte dieses Buch nicht aus der Hand legen. Vermutlich geht es allen, die Freude am Aufarbeiten persönlicher Lebensgeschichten haben, ganz genauso!