Verschwinden

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In ihrem Debütroman schreibt Maddalena Vaglio Tanet von einer doppelten Tragödie. Da ist zum einen Giovanna, ein elfjähriges Mädchen, das in der Schule und in ihrem Leben mit den Eltern und der sehr früh einsetzenden Pubertät nicht zurechtkommt. Zum anderen ist da ihre Lehrerin Silvia, die sich sehr für sie einsetzt und alles in die Waagschale wirft, um ihr zu helfen.
Als Giovanna sich durch einen Sprung aus dem Fenster in den darunterliegenden Wildbach umbringt, bricht für Silvia die Welt, die sie sich mühsam aufgebaut hat und über viele Jahre gehalten hat, zusammen. Sie geht, nachdem sie die schlimme Nachricht vom Tod ihrer Schülerin erhalten, wie betäubt in den Wald und versucht zu verschwinden, indem sie sich einfach wie ein verwundetes Tier verkriecht.
Derweil wird gerade von der Familie ihres Cousins Anselmo, mit dem sie bei den Großeltern aufgewachsen ist, fieberhaft nach ihr gesucht. Ein neuer Schüler der Schule findet sie, behält aber ihr Geheimnis für sich und sichert ihr durch mitgebrachtes Essen und Wasser das Überleben – bis sie sich entschließt zurückzukehren.
Die Autorin beschreibt aus ihrer eigenen Geschichte und ihrem eigenen Erleben heraus zwei zerrissene Seelen, die sich nicht mehr anders zu helfen wissen, als zu drastischen Maßnahmen zu greifen. Bei Giovanna ist damit das Leben zu Ende, bei Silvia, der Hauptprotagonistin, kann nach dem Erlebnis etwas Neues entstehen. Das Versinken von Silvia in der Natur stellt sie dabei als auktorialer Erzähler mit den wirren Gedanken und Gefühlen sehr plastisch und nachvollziehbar dar. Silvias Lebensgeschichte wird so nach und nach aufgeschlüsselt und damit auch, warum sie dieses Ereignis des Selbstmordes von Giovanna so stark getroffen hat.
Aber auch die Nebenfiguren, wie Anselmo, Martino, Giulia, Schwester Annangela, Lea, u. a. werden in ihrem Wesen überzeugend und klar von der Autorin beschrieben, so dass im Wechsel der Kapitelthemen von Silvia in einem und im nächsten jemand anderes, sich die LeserIn in jeden hineinversetzen kann und mit jedem mitfiebert.
Das Buch entwickelt wie angekündigt eine Sogwirkung: Was wird mit Silvia geschehen? Was wird sie tun?
Ich würde das Buch jedem empfehlen der gerne ernste Literatur liest und sich gerne mit den Lebensumständen von Menschen, egal welchen Alters und egal in welcher Zeit, und ihrem seelischen Empfinden auseinandersetzt.