Wenn das Gestern dein Heute kreuzt...

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laberlili Avatar

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Sicherlich kann es nicht schaden, die Hintergründe des Deutschen Herbstes, der Studentenunruhen und die allgemeine politische Situationen Deutschlands in den 70ern zu kennen, wenn man sich anschickt, diesen Roman zu lesen. Zumindest ein gewisses Basiswissen sollte vorhanden sein und wird prinzipiell auch vorausgesetzt: „In einem anderen Licht“ verliert sich zwar nie in den politischen Wirren der damaligen Zeit, aber erklärt beispielsweise, oder auch insbesondere, die RAF gar nicht. Obschon: Wie würde man Gewalt und Terrorismus überhaupt erklären können, geschweige denn auch nur wollen?
In „In einem anderen Licht“ kommt sehr schnell der Verdacht auf, dass die großzügige Gönnerin mit dem großen Herzen als junge Frau dem linksextremen Spektrum angehörte; leider bestätigt hier bereits der Klappentext, dass Dorothea Sartorius tatsächlich einer Terrorgruppe angehörte: Im Roman scheint zunächst nur eine solche Mutmaßung, dann eine vage Behauptung, dass dem so gewesen sei, durch, ausgesprochen von einer Person, deren Glaubwürdigkeit für die Journalistin Miriam unklar ist. Es scheint weder Beweise noch Gegenbeweise zu geben und Dorothea Sartorius spricht nicht über diese Zeit ihrer Vergangenheit, sondern fordert Miriam lediglich lapidar auf, ihre Tätigkeit als Journalistin auszuüben. Dabei wirkte „In einem anderen Licht“ für mich von Anfang an, als würde letztlich nur Dorothea Sartorius die „eine“ Wahrheit enthüllen können, wobei der Roman sehr mit der Frage spielte, wie viele Wahrheiten es bzgl. derselben Sache geben könnte und ob die Wahrheit nicht oftmals eine nur subjektive Entscheidung sei. Ob Dinge, die einem falsch erscheinen, mit anderen Augen betrachtet nicht völlig richtig sind etc.

Ich mochte die differenzierte und doch persönliche Art, die den Austausch zwischen den im Allgemeinen sehr klar skizzierten Figuren ausmachte; generell waren die Charaktere sehr feinsinnig gezeichnet und der Roman sog einen letztlich so ein wie man Frischluft an einem klaren Winterabend einatmet, dass ich mich tatsächlich mehrmals ermahnen musste, daran zu denken, dass die Handlung während der Osterzeit spielte. Ich war aufgrund dieser eiskristallklaren Aura eben ständig versucht, die Handlung in die Zeit kurz vor dem ersten Schneefall des Jahres zu verschieben.

Miriams Mann ist auf tragische Weise ums Leben gekommen; sie hat hernach eine Fehlgeburt erlitten und ist somit mit dem inzwischen fünfjährigen Sohn Max zurückgeblieben. Miriam kämpft immer noch damit, ihre Trauer zu bewältigen und sich auf Neues einlassen zu können; auch der Sohn scheint erst allmählich reflektieren zu können, dass der Vater fort ist, und (über)fordert Miriam zusätzlich mit seinen emotionalen Ausbrüchen und der offen ausgesprochenen und ausgelebten Trauer um seinen Vater. Miriam knüpft zaghaft neue Kontakte, auf die Max sich optimistischer zu stürzen scheint, aber sie hängt doch sehr der Vergangenheit nach, in welcher ihre Familie noch vollständig war und diese Traurigkeit erschwert es ihr auch zu bewerten, wie sehr sie die Vergangenheit der Sartorius verschreckt und inwiefern sie die Grande Dame, die sich nun seit so Langem bereits so positiv engagiert, nun eventuell geringschätzt. Ist der Sartorius-Preis letztlich gleichgültig oder gar minderwertig, weil er von einer Frau mit einer (mutmaßlich) dubiosen Vergangenheit gestiftet worden ist; was waren die Beweggründe der jungen Dorothea, sich dem Terror anzuschließen und wie sehr war sie Aktivistin, wenn ihre damalige Gruppe sie letztlich als Verräterin sah?

„In einem anderen Licht“ ist kein ausgeprägter Wälzer, die Linie ist sehr klar und ich habe diesen Roman sehr gerne gelesen, da mich die Antwort auf die Frage, was letztlich mit dem Sartorius-Preis sein würde, so gespannt sein ließ. Ein wenig schwer tat ich mich allerdings mit dem teils esoterisch-spirituellen Verhalten von Dorotheas früherer Weggefährtin, die Geister wahrzunehmen schien; in diesem Zusammenhang gab es einige sehr viele Zufälle von aufeinandertreffenden Personen, was auch entsprechend angesprochen wurde, ob es überhaupt wirklich nur Zufälle waren oder doch mehr Bestimmung dahintersteckte. Ich bin zwar nicht unbedingt nicht schicksalsgläubig, aber das „Schicksal“ wurde mir persönlich letztlich etwas zu sehr ausgereizt und machte die authentische Geschichte schließlich noch ein wenig surreal, was ich einfach schade fand.
(Hinweis für die „Buchausstattungsliebhaber“: Das Cover ist hier nur auf dem Schutzumschlag zu sehen, in den die gebundene Ausgabe gehüllt ist. Unter diesem Schutzumschlag verbirgt sich ein simpler, einfarbiger, im dunklen Blaugrün gehaltener, Buchdeckel.)