Ein Gespräch über die Liebe

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hohleborn8 Avatar

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Der „neue Lattauer“ kommt als Dialog daher. Ein Dialog zwischen zwei bis dato unbekannten Reisenden während einer Zugfahrt von Wien nach München. Ein Dialog über rd. vier Stunden ergeben umgesetzt ein Buch von genau 200 Seiten. Ein Büchlein vollgespickt mit vielen Wortspielen mit reichlich Wortwitz aber auch ein Meisterwerk deutscher Sprache und nicht zuletzt eine Lehrstunde des Wiener Schmäh.
Das Gespräch zwischen dem Bestsellerautor in Schaffenskrise und der Therapeutin Catrin dreht sich um die Liebe im Allgemeinen und im Besonderen. Schon ein recht ungewöhnliches Thema für zwei Menschen, die sich erst vor wenigen Minuten in einem Zugabteil kennengelernt haben. Der Dialog der beiden Reisenden bezieht sich fast ausschließlich auf dieses doch sehr persönliche, sehr private Thema, während die Gedanken des Autors während des Gespräches auf diverse andere Themen abschwenken. Schlussendlich ergibt die Darlegung des Dialogs sowie der Gedankengänge des Autors eine gelungene Abhandlung über die Liebe, die Ehe, das Geheimnis einer guten Ehe, einen Reiseleiter für die Strecke Wien-München sowie einige andere interessante oder völlig nebensächliche Themen.
Nun könnte man denken, ein total uninteressantes Buch, staublangweilig wie der auf Seite 157 gepriesene Marmorkuchen. Weit gefehlt. Ich habe das Buch „In einem Zug“ in einem Zug am heutigen Tag durchgelesen. Ich konnte es nicht aus der Hand legen. Ich habe es sogar zu meinem Arztbesuch zur Überbrückung der gewohnten Wartezeiten mitgenommen. Und siehe da: Der Arztbesuch verging wie im Flug.
Wortwendungen wie „der sehnsüchtigste Möchtegernraucher auf der Erdkugel“, Sätze wie „inzwischen hat sich der Nasenbohrer-Zug aus Villach in aller Gemächlichkeit (Anmerkung meinerseits: Wie gut klingt diese Wiener Schmäh im Gegensatz zum im Deutschen verwendeten „in aller Gemütlichkeit“) in den Hauptbahnhof Salzburg hineinbequemt“, Schachtelsätze wie auf Seite 146 letzter Satz aber auch verbale Schlagabtäusche mit kurzen prägnanten Sätzen lassen dieses Buch zu einem Genuss deutschsprachlicherer Literatur werden.
Die für viele Leser wohl überraschende Wendung zum Schluss des Buches habe ich bereits frühzeitig geahnt und in etwas abgewandelter Form vorhergesehen. Das hat aber den Lesegenuss in keiner Weise geschmälert.
Wer als Nicht-Bahnreisender nach der Lektüre des Buches vermutet, solche Gespräche finden in einem Zug zwischen zwei wildfremden Leuten nie im Leben statt, dem sage ich als ehemalige Viel-Nutzerin der Deutschen Reichsbahn (die fuhr in der ehemaligen DDR noch bis 1990): Doch, solche Gespräche finden statt und es ist schon verwunderlich welche Geheimnisse zwischen fremden Menschen getauscht werden, welche dem besten Freund nie erzählt würden.
Als Einwohner eines ostdeutschen Bundeslandes noch ein Extra-Applaus für die gelungene Analyse zum Thema Ost/West auf Seite 171/172.
Danke für dieses wunderbare Buch! Ein Genuss für die Sinne!