Zwischen Realismus und Übermaß

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sometimeswonderland Avatar

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"In einem Zug" ist ein für Glattauer im Stile typischer Roman. Auf den Punkt gebrachte Gedanken. Wortgewandte Konter und Formulierungen. Eine Prise Humor und eine scharfe Zunge.

Protagonist Eduard sieht sich mit einer Sitznachbarin in seinem Viererabteil konfrontiert. Wobei keine direkte Nachbarin... Sie sitzt schräg gegenüber. Und schlimmer noch: Sie sucht das Gespräch mit ihm. Doch zu Eduards eigener Überraschung lässt er sich immer weiter auf dieses Gespräch ein und lässt diese Fremde in Areale seiner Gedanken und Gefühle blicken, die er sonst nur mit seinen engsten Bekannten teilt. Liegt es daran, dass sie ihn - den erfolgreichen Autoren - gar nicht kennt?

Besagte Frau heißt Catrin. Catrin, die Physio, - sowie Psychotherapeutin ist. Eine fragwürdige Mischung, die zu Glattauers urkomik passt. Die Psychotherapeutin ist also diejenige, die einem Wildfremden in die Tiefen seiner Gedanken vordringt. Die ihn über persönliche Angelegenheiten ausfragt, ihn zu Antworten drängt und über eine weitere Unbekannte - Brünhofers Frau - ebenfalls Details haben möchte. Ich fand hier das Klischee einer Psychotherapeutin, die alle um sich herum analysiert und therapiert, mehr als ausgeschöpft.

Dabei wirkt sie kaum überzeugend. Sie erzählt, dass sie eine Pause macht. Einmal entspannen, einmal durchatmen. Dennoch geht sie in ihrer Jobrolle völlig auf. Doch darüber hinaus fängt sie während der Gespräche immer mehr an, ihre eigenen Gefühle und Gedanken in den Protagonisten hinein zu projizieren. Sie legt ihm Wörter in den Mund, die er - selbst angetrunken - gekonnt kontert. Doch gerade während der Gespräche über Sex empfand ich Catrin als penetrant und unglaubwürdig. Gewollt autobiografisch soll die Geschichte wirken - doch was davon nun stimmt, weiß nur Glattauer selbst.

Zusätzlich eckte ich sehr an dem Kontrast der Gesprächsthemen an. Tiefgründig muten die Gedanken zu seiner Zugsituation an. Sein Rückblick auf sein Leben und ja: Auch das Thema Alkohol. Geradezu plump wirkte es jedes einzelne Mal, wenn wieder mal Liebe und Sex in den Vordergrund rückten.

Trotz allem liest sich der Roman unterhaltsam, klug und gewieft. Bissige, alltagsreiche und alltagskritische Gespräche führen uns durch die Reise von Wien-Hüttelsdorf nach München-Hauptbahnhof. Das Ende schenkt die Erleuchtung und ist für mich ein gelungener Abschluss. Aber der Autor hat recht: Man muss nicht immer über die Liebe sprechen, denn es gibt so viele Themen, die ich gerne aus Glattauers Sicht sehen würde. Seine Gedanken sind geistreich, humorvoll, sowie kritisch. Die Idee der Zugfahrt eher außergewöhnlich. Gerne mehr davon! Vielleicht mehr davon?