Nichts ist wie es scheint…

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Mit „In Todesangst“ liegt nun nach „Ohne ein Wort“ und „Dem Tode nah“ ein dritter Thriller von Linwood Barclay in deutscher Übersetzung vor. Alle Romane sind dabei unabhängig voneinander zu lesen und stehen weder in einer bestimmten Reihenfolge noch in einem konkreten Zusammenhang. Ich habe sie in der Reihenfolge des Erscheinens gehört bzw. gelesen und nach der Lektüre von „In Todesangst“ muss ich leider feststellen, dass Barclay für mich an Reiz verloren hat und nicht mehr zwingend zu den Autoren gehört, die blind gekauft werden.

Zwar hat dieser Thriller für mich auch wieder absolute Pageturner-Qualität, dennoch würde ich dieses Werk in seiner Gesamtheit schwächer einordnen als seine beiden Vorgänger. Woran liegt es? Gleiches Schema und damit zu viel vorhersehbar? Wiederkehrender Spannungsbogen? Sich ähnelnde Charaktere? Ich kann es gar nicht so genau an einem Punkt festmachen, habe jedoch gemerkt, dass ich dieses Werk nicht mit der gleichen Begeisterung gelesen habe wie die Vorgänger und am Ende auch recht unzufrieden zurückgeblieben bin.

Barclay hat sich wie auch schon in seinen Vorgängerromanen der Familie bzw. insbesondere der Eltern-Kind-Beziehung angenommen und schildert das spurlose Verschwinden der siebzehnjährigen Sidney Blake. Sidneys Eltern leben getrennt und die Ferien verbringt Sidney bei ihrem Vater Tim Blake. Eines Tages kehrt sie von ihrem Ferienjob nicht mehr heim und damit beginnt für Tim eine endlose Suche nach seiner verschwundenen Tochter. 

Auch wenn Tim dabei zahlreiche Hindernisse und Hürden zu bewältigen hat, gibt er nicht auf. Dies ist schon beeindruckend, zumal Tim es mir nicht immer leicht gemacht hat, ihn zu mögen. Die Ängste und Befürchtungen, inneren Anspannungen und seelischen Belastungen der Eltern bzw. insbesondere des Vaters werden deutlich und von Barclay gekonnt geschildert, aber muss man denn so kopflos werden und sich sofort auf jede falsche Fährte locken lassen, in jede Falle tappen? Diese „Blauäugigkeit“ hat mich ab einem gewissen Punkt sehr gestört und mir Tim von Seite zu Seite unsympathischer gemacht. Auch sein geringes Schlaf- und Essbedürfnis während der langwierigen Suche ließ ihn in meinen Augen irgendwann unglaubwürdig bzw. übermenschlich erscheinen. Auch wenn Tims Situation für jemanden, der so etwas noch nicht erlebt hat, sicherlich schwer bzw. gar nicht nachvollziehbar ist, konnte ich mich mit der Art und Weise, wie Barclay Tim in seiner Gesamtheit darstellt, im Laufe der Geschichte immer weniger anfreunden.

Seinen Höhepunkt erreichte das Ganze für mich dann in der „Autohausszene“, in der Tim zum hollywoodreifen Superhelden avanciert und in Rambo-Manier „den Bösen“ einen überaus deutlichen Denkzettel verpasst. Für eine potentielle Verfilmung läge das Drehbuch hier schon druckreif vor; für mich in jeder Hinsicht zu viel des Guten und extrem unglaubwürdig.

Auch die häufigen, äußerst detaillierten Beschreibungen der Höhen und (meist überwiegenden) Tiefen im Leben eines Autoverkäufers hätte ich nicht gebraucht. Ab einem gewissen Punkt waren sie mir eindeutig zu viel und tragen darüber hinaus auch in keiner Hinsicht zum Fortgang der Geschichte bei.

Trotz aller Kritikpunkte kam das Ende dann zwar abrupt, aber für mich doch recht überraschend. Da alles in logischem Zusammenhang steht und ich keine Widersprüchlichkeiten oder Ungereimtheiten entdecken konnte, findet die Geschichte alles in Allem für meinen Geschmack dann dennoch ein rundes Ende.

Sprache und Stil des Autors sind wie auch in seinen anderen, ins Deutsche übersetzten Werken sehr leichtgängig und schnörkellos; sie unterstützen in ihrer Schlichtheit den aufgrund der Spannung gewünschten raschen Lesefluss.

Fazit:
Für den raschen Lesegenuss, dessen Schwerpunkt auf Spannung und weniger auf Realitätsnähe und Tiefgründigkeit liegt, sicherlich gut geeignet. Wer allerdings im Thrillersektor etwas Neues und/oder Tiefgründigeres sucht, dem kann ich dieses Buch nicht empfehlen. Ich vergebe gute drei Sterne für das vorhandene Spannungspotential und die für mein Empfinden in sich stimmige Auflösung des Falles. Für seine nächsten Werke wünsche ich mir von Barclay eine Erweiterung seines Themenspektrums, denn das Handwerkszeug für einen guten, spannenden Thriller beherrscht er definitiv!