Oberflächlich gut aber fehlerhaft
Rezension zu:
Ingenium Das erste Rätsel
Prämisse:
Nachdem Mike Brinks beim Football ein Schädelhirntrauma erlitten hat, verfügt er über das erworbene Savant Syndrom welches ihn zum Lösen von hochkomplexen Rätseln befähigt.
Aufgrund dieser besonderen Fähigkeiten tritt die Gefängnispsychologin Dr. Moses an ihn heran. Eine ihrer Patentiennen, die wegen Mordes verurteilte Schriftstellerin Jess Price, hat eine seltsame Zeichnung gezeichnet verbunden mit der Bitte diese an Mike weiterzutragen. Ihm wird bald klar, dass wesentlich mehr dahinter steckt. Bei der Zeichnung handelt es sich um ein jahrhunderte altes Mysterium, das sogenannte Gottesrätsel.
Bewertung:
Glaubt man den Bewertungen auf der Rückseite und der Umschlaginnenseite ist „Ingenium“ folgendes: „Meisterhaft“, „Absolut fesselnd“, Phänomenal“, „Ein genialer Thriller“ und sogar „Perfekt“.
Gänzlich abwegig sind diese Bewertungen nicht. Was als erstes auffällt ist die Ambition und die Mühe der Autorin. Das Buch enthält einige Rätselgrafiken und als ein Tagebuch und ein Brief in die Handlung involviert sind, werden diese auch vollständig wiedergegeben anstatt nur zusammengefasst. Auch die Plotstruktur ist geglückt. Daniele Trussoni enthüllt nach und nach das Gesamtbild, sodass der Leser sich trotz der Themenvielfalt in diesem Buch nicht überfordert fühlt und selber nachdenken kann was eventuell im späteren Verlauf enthüllt wird. Und auch diese Themenvielfalt selber ist tendenziell eher eine Stärke als eine Schwäche. Von großen Themen wie Religion und Unsterblichkeit bis hin zu zwar nischigen aber nicht uninteressanten Themen wie Porzellan (es klingt vielleicht ungewöhnlich aber es ist wirklich im Buch und schadet auch keineswegs) gibt es viele Themen neben einigen philosophischen Ansätzen (leider auch nicht mehr als Ansätze aber das ist in einen Thriller keine Katastrophe) enthält es auch eine Vielzahl an Subgenres. Dadurch wirkt das Buch individuell und hebt sich von den unzähligen anderen Thrillern ab. Die Figuren sind zumindest oberflächlich gut gelungen. Trussoni nimmt sich die Zeit auf Mikes Vergangenheit einzugehen wodurch er mehr ist als nur eine Rätsellösungsmaschine und auch Nebenfiguren wie Jess Price, Cam Putney und Jameson Sedge sind in Ansätzen interessant.
Hier muss ich allerdings leider mit der Kritik beginnen. Beginnend mit den Figuren, die zwar auf einem hohen Niveau oberflächlich sind aber eben doch oberflächlich. Besonders fällt dieser Umstand natürlich bei der Hauptfigur Mike Bridge auf. Der Eindruck dieser Oberflächlichkeit entsteht vor allen dadurch, dass viele Informationen über Mike erst im Laufe des Buches enthüllt werden und zwar immer dann wenn es gerade passt. Das Mike durch seine Fähigkeiten innerhalb kürzester Zeit Sprachen lernen kann und dies auch getan hat (er beherrscht fließend Französisch, Spanisch, Italienisch, Latein, Japanisch, Chinesisch und Altgriechisch) wird erst in den letzten hundert Seiten enthüllt. Das Buch behauptet zudem Mike hätte ein starkes Bedürfnis nach Routinen und Schwierigkeiten Gesichtsausdrücke zu lesen, was angesichts seines erworbenen Savant Syndroms auch logisch ist, jedoch bleibt beides reine Behauptung. Anstatt Mike durch diese Eigenschaften verletzlicher und menschlicher zu machen oder die Antagonisten diese ausnutzen wodurch zusätzliche Spannung in die Geschichte kommen und die Antagonisten kompetenter sowie bedrohlicher wirken würden, werden sie nur einmal erwähnt, spielen jedoch keine Rolle. Selbst das er kurz nach seinem Unfall an Selbstmord dachte wird nur nebenbei bemerkt. Diese Umstände schaden Mikes Charakter sehr, da ich niemals den Eindruck hatte ihn wirklich zu kennen worunter die emotionale Verbundenheit des Lesers mit ihm leidet und damit in einem Dominoeffekt ebenfalls das Bild des Lesers von Jess Price da dieses sehr durch Mikes Wahrnehmung geprägt ist sowie die allgemeine Spannung.
Ähnliches gilt leider auch für die Nebenfiguren, insbesondere für Cam Putney. Diese Figur könnte durchaus interessant und vielschichtig sein jedoch werden auch bei ihm zu viele Informationen im nachhinein gegeben oder durch tell vermittelt wodurch auch er weniger greifbar wirkt. Die schlimmste Figur betritt die Bühne jedoch erst auf den letzten einhundert Seiten, die nichts weiter mehr ist als eine Kombination aus Plot Device und politischem Sprachrohr. Besonders in letzterer Funktion offenbart sich die fürchterliche Qualität dieser Figur. Ihre politischen Aussagen werden in keinster Weise kommentiert, hinterfragt, analysiert oder auch nur wirklich begründet. Stattdessen werden sie einfach im Raum stehen gelassen, was auf mich sie wirkt als würde die Autorin hier nur eine bestimmte Meinung propagieren und dabei absolut sichergehen wollen, dass auch wirklich jeder diese Meinung sieht, was literarisch absolut minderwertig ist. Man hätte sie komplett streichen können ohne, dass es zu irgendwelchen Problemen kommt. Die Antagonisten des Buches (zu denen auch Cam Putney gehört) sind bedauerlicherweise auch nicht besonders gut. Die Hauptantagonisten fallen teilweise wie Schurken aus einem Kinderbuch auf die billigsten Tricks herein (an einer Stelle kann Mike fliehen indem er behauptet auf die Toilette gehen zu müssen nur um durch das Fenster zu entkommen). Anstatt ein Duell eines hochintelligenten Visionärs und eines genialen Rätsellösers verfolgen zu können arbeitet hier ein Mann, der außerhalb seines Savantsyndroms nicht überdurchschnittlich intelligent, ist gegen einen Cartoon - Schurken. Das Motiv des Hauptantagonisten ist zwar interessant wird jedoch nicht näher begründet. Dazu kommt ein Antagonist der erst kurz vor Schluss eingeführt wird und dessen Bedrohung derartig vage, hintergründlich, aus dem nichts kommend und nur durch tell vermittelt ist, dass man sie kaum als solche wahrnimmt. Und ebenso unspektaktulär wie dieser Antagonist agiert wird er auch auf vier Seiten ohne Probleme besiegt. Allgemein verhalten sich die Figuren teilweise derartig dümmlich, dass man das Bedürfnis verspürt seine Hand vor den Kopf zu schlagen.
Zu den vielen Genres die das Buch in sich vereint kommt auch das der Liebesgeschichte, nämlich zwischen Mike und Jess. Ich bin zwar grundsätzlich kein Freund von Liebesgeschichten in solchen oder ähnlichen Büchern, kann diese jedoch akzeptieren wenn sie gut geschrieben sind, was hier leider nicht der Fall ist. Die Liebe zwischen den beiden wird auf sehr plakative Weise vermittelt. Und zwar dadurch dass, Mike beschreibt, dass da eine Verbindung zu Jess ist wie er sie noch nie zuvor mit einem anderen Menschen hatte. Das ist die faulste, beschränkeste und plakativste Weise eine Liebesgeschichte zu schreiben. Bedingt durch diesen Umstand fühlt sich der Leser weniger involviert in ihre Liebesbeziehung und, was noch schlimmer ist, in den Hauptplot selbst, was der allgemeinen Spannung erneut sehr abträglich ist.
Fazit:
„Ingenium Das erste Rätsel“ hat eine Menge gute Ansätze und Ideen die ihre Wirkung jedoch leider nicht entfalten können weil sie entweder nicht mehr als gute Ansätze und Ideen sind oder ihr Effekt durch die zahlreichen Fehler des Buches konterkariert werden. Besonders die Figuren und ihre Beziehung untereinander sind nur oberflächlich gelungen. Gute Antagonisten bietet dass, Buch leider auch nicht weil sie entweder zu inkompetent oder zu vage sind um bedrohlich zu sein.
Durch all diese Aspekte nimmt die Spannung immer weiter ab und so genügen interessante religiöse oder kunsthistorische Aspekte nicht um das Buch wirklich gut zu machen. Das Prädikat „Perfekt“ trifft für mich auf vielleicht zwei oder drei Bücher (Scythe, Wolkenpiraten) zu auf dieses hier jedoch ganz gewiss nicht. In der Summe ergeben meine Kritikpunkte ( mit Tendenz nach oben):
2,5/5