Ein Jahreshighlight, das unter die Haut geht!

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buecher.am.meer Avatar

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Institut für gute Mütter von Jessamine Chan. Übersetzung aus dem Englischen von Friederike Hofert.

Der Debütroman von Jessamine Chan ist am 30. März 2023 im Ullstein Verlag erschienen und stand auf Barack Obamas Summer Reading List 2022.

Fridas und Gusts Glück einer kleinen Familie währt nicht lange. Kurz nach der Geburt trennt sich Gust von Frida, um sich mit Susanna ein neues Leben aufzubauen. Seitdem teilen sich Frida und Gust die Betreuung von Harriet.

Doch der Wiedereinstieg in den Job und die alleinige Versorgung ihres Babys bringen Frida, die immer noch unter der Trennung leidet, an ihre Grenzen. Harriet schreit und schreit und lässt sich nicht beruhigen. Frida sehnt sich nichts mehr als einen Moment der Stille. Also verlässt sie kurz das Haus, um sich einen Kaffee und einen Ordner aus dem Büro zu holen.

Doch was dann passiert, gleicht einem Alptraum: Ein Nachbar alarmiert die Polizei, die Harriet sofort in Obhut nimmt. Frida wird vernommen. Sie steht von nun an unter der ständigen Kontrolle der Kinderschutzbehörde und darf ihre Tochter nicht mehr sehen.

Aufgrund der grob fahrlässigen Aufsichtspflichtsverletzung kommt es zum Gerichtsprozess, in der die Richterin kein Erbarmen hat: Obwohl Frida ihre Tat bereut und sie sich zuvor nichts zu Schulden kommen lassen hat, wird ihr das Sorgerecht entzogen. Sie wird außerdem dazu verurteilt, sich einem einjährigen Rehabilitationsprogramm zu unterziehen. In einem staatlich kontrollierten Institut müssen Eltern ihre Vergehen aufarbeiten und mit Hilfe von lebensechten KI-Puppen lernen, gute Eltern zu werden.

Was für ein Debüt! Die Geschichte hat mich sehr oft an „Der Report der Magd“ von Margaret Atwood erinnert, die ein ebenso grauenvolles Zukunftsszenario entwirft, in der Frauen und Mütter keinerlei Rechte haben.

Ich muss ehrlich sagen, dass das Buch sehr ambivalente Gefühle bei mir hervorgerufen hat und es wirklich einiges von einem abverlangt. Zum einen ist dieses überzogene Gedankenspiel grandios, zum anderen ist das Szenario von extremer Überwachung, Vorverurteilung und der rigorose Entzug der elterlichen Rechte eine verstörende und beunruhigende Vorstellung.

Wir begleiten Frida während ihres einjährigen Aufenthalts im Institut bis zu den Tagen nach ihrer Entlassung. In vielen Momenten zerreißt es einem wirklich das Herz. In anderen Momenten war ich unglaublich wütend. Was den Müttern und den Kindern angetan wird, ist teilweise sehr schwer zu ertragen. Anderseits konnte ich das Buch oft nicht aus der Hand legen. Ab der Hälfte hat es eine große Sogwirkung entwickelt.

Oft habe ich die Erfahrung gemacht, dass mich die Enden von ähnlichen Büchern enttäuscht haben. Hier empfand ich den Schluss als sehr stimmig. Die letzten Zeilen sind mir nochmal besonders nahe gegangen 💔.

Dieses Buch MUSS gelesen werden. Es ist wirklich ein grandioses Debüt geworden und zurecht eines von Obamas Highlights.

Allerdings gibt es einen Wermutstropfen: Die Geschichte beunruhigt und alarmiert und kann dazu beitragen, dass die Ängste von Eltern gegenüber dem Wächteramt, das der Staat ausüben muss, noch größer wird. Dieser Gedanken hat mich beim Lesen immerzu beschäftigt, da dies ein großes Thema in der psychosozialen Arbeit, Beratung und Therapie ist.

Nichtsdestotrotz möchte ich euch dieses Buch unbedingt empfehlen. Es beschäftigt mich bis heute, obwohl ich es schon vor einigen Wochen beendet habe. Wenn ein Buch so lange nachhallt und einen bis ins Mark berührt, dann ist es ein Lesehighlight (und sogar ein Jahreshighlight!).

5 von 5 ⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️