Eine bedrückende Dystopie

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anana Avatar

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„Schlechte Eltern müssen alles von Grund auf neu lernen: die richtigen Instinkte, die richtigen Gefühle, die Fähigkeit, in Bruchteilen von Sekunden sichere fürsorgliche und liebevolle Entscheidungen zu treffen.“

Jessamine Chan hat mit ihrem Debüt eine Dystopie vorgelegt, welche zwar nicht ganz so provozierend und packend ist wie Margaret Atwoods „Der Report der Magd“. Dennoch ist „Institut für gute Mütter“ überaus lesenswert, enthält es doch auf sehr zugängliche Art und Weise faszinierende Denkanstöße rund um das Thema Elternschaft, staatliche Überwachung und künstliche Intelligenz.

Im Mittelpunkt des Romans steht die Anti-Heldin Frida Liu. Sie ist Mutter einer 18 Monate alten Tochter, welche sie an einem „richtig schlechten Tag“ für über zwei Stunden allein zu Hause lässt. Ein besorgter Nachbar bekommt dies mit und ruft die Polizei. Mit dem daraufhin von der Kinderschutzbehörde eingeleiteten Verfahren beginnt für Frida eine neue Zeitrechnung. Sie darf ihre Tochter nicht mehr sehen und muss ein einjähriges, auf KI-Puppen gestütztes Rehabilitierungsprogramm durchlaufen, um eine bessere Mutter zu werden. Versagt Frida, verliert sie ihre elterlichen Rechte und wird eine öffentlich einsehbare Kartei der Kindeswohlgefährder aufgenommen.

Doch was ist überhaupt eine gute Mutter? Für den Staat lautet die Antwort auf diese Frage: Sie wird mit allem fertig, lässt sich nie aus der Ruhe bringen, ist stets liebevoll, immer alles gebend und verliert nie die Nerven. Diese unerfüllbaren Zielvorgaben, aber auch die geforderte eiserne Disziplin und die totale Überwachung drohen im Verlaufe des Jahres zunehmend die Selbstachtung von Frida zu zerstören.

Jessamine Chan ist, trotz ein paar Längen im Mittelteil, eine realitätsnahe, bedrückende Schilderung der Ereignisse im Rehabilitationsprogramm gelungen. Der damit einhergehende Blick in die Abgründe einer Gesellschaft dürfte keinen Leser kalt lassen und macht „Institut für gute Mütter“ zu einer zeitgeistigen Mahnung gegen menschenrechtsverletzende staatliche Disziplinar- und Überwachungsprogramme.