„Ich bin eine schlechte Mutter …“

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Das Debüt „Institut für gute Mütter“ von Jessamine Chan liest sich über weite Teile spannend und löste zahlreiche widersprüchliche Emotionen bei mir aus. Wenn einem Buch dies gelingt, dann hat es normalerweise bereits gewonnen - normalerweise. Hier war für mich die Geschichte allerdings nicht rund, nicht durchgängig plausibel erzählt, so dass ich eben doch unzufrieden zurückbleibe.

Frida ist am Ende ihrer Kräfte. Ihre 1,5-jährige Tochter ist krank, an Schlaf ist seit Tagen nicht zu denken und eine Deadline im Job erzeugt außerdem Druck. In einem spontanen Entschluss verlässt Frida die Wohnung und lässt ihre Tochter 2,5 Stunden alleine. Ein Nachbar, der das Kind schreien hört, benachrichtigt die Polizei, die Harriet aus der Wohnung „befreit“ und mit zur Wache nimmt.

Das verantwortunglose Handeln hat für Frida und Harriet weitreichende Folgen. Harriet zieht zum Vater und seiner neuen Frau, darf ihre Mutter zunächst in einem streng getakteten, sehr knappen Zeitraum unter Beaufsichtigung treffen. In Fridas Wohnung werden Überwachungskameras installiert. Ein Gericht beschließt, dass Frida nur dann weiterhin für ihre Tochter sorgen darf, wenn sie lernt, eine gute Mutter zu sein. Dies soll sie in einer neuen, noch geheim gehaltenen Besserungsanstalt während eines Jahres mithilfe einer KI-Puppe erlernen. Natürlich lässt sich Frida darauf ein, ist es doch ihre einzige Chance, die Tochter zurückzugewinnen.

Was folgt sind Trainingseinheiten, in denen Frida mit anderen verurteilten Müttern lernt, „mutterisch“ zu sprechen, angemessene Umarmungen auszuführen (nicht zu lang, nicht zu kurz), Konflikte zwischen den KI-Puppen zu schlichten usw.. Dabei kommen durchaus wichtige Themen der Kindererziehung zur Sprache, die dann aber durch die völlige Missachtung der individuellen Persönlichkeit von Mutter und Kind und in ihrer strengen Durchführung ohne Spielraum und Beachtung der Bedürfnisse gleich wieder ad absurdum geführt werden. Das Institiut für gute Mütter bedient sich unmenschlicher Methoden, bricht Frauen, anstatt sie aufzubauen, straft, foltert und traumatisiert ebenso die zurückgelassenen Kinder, die manchmal per Videotelefonat mit ihren Müttern sprechen dürfen. In der Besserungsanstalt (es gibt auch einen getrennten Bereich für Väter) befinden sich auch Eltern, die ihre Aufsichtspflicht dadurch verletzten, dass sie ihr Kind nicht vom Sturz eines Klettergerüsts schützen konnten oder weil sie ihrem Kind im Grundschulalter erlaubten, den kurzen Weg vom Spielplatz zur Wohnung alleine zu bewältigen. Offensichtlich verbietet das us-amerikanische Gesetz den Aufenthalt für Kinder bis 12 Jahren alleine in der Öffentlichkeit. Je nach Bezirk halten sich die Menschen daran oder auch nicht. In einigen Gegenden erstatten Nachbarn durchaus Anzeige und der Fall landet vor dem Jugendamt.

Mit den Vätern in der Besserungsanstalt scheint man nachsichtiger umzugehen, die Regeln sind nicht so streng und die Chancen stehen für Väter besser, am Ende der „Strafmaßnahme“ wieder mit ihren Kindern leben zu können. Die Autorin hat durchaus auch das Anliegen Gesellschaftskritik zu üben. Neben der geschlechtsspezifischen Ungleichbehandlung zeigt sie, wie Rassismus die Beurteilung der Mütter und Väter beeinflusst. All das kratzt aber nur an der Oberfläche, ebenso die Beziehungen, die die Mütter untereinander eingehen.

Die Geschichte fesselt vor allem wegen des emotional aufwühlenden Themas, weniger durch den Schreibstil und den Handlungsaufbau. Immer hatte ich das Gefühl, dass irgendetwas fehlt, dass diese entworfene Welt in sich nicht stimmig ist. Vergleiche mit Orwells „1984“ und Atwoods „Report der Magd“ sind meiner Meinung nach nicht zulässig - zwischen diesen Werken liegen Welten.